Mehr Tests, noch mehr Fälle

8.9.2020, 18:49 Uhr
Mehr Tests, noch mehr Fälle

© Foto: Peter Steffen/dpa

  Gibt es mehr Fälle, weil mehr getestet wird?

Im Juli und August ist die Zahl der neu gemeldeten Corona-Fälle auf 1000 bis 2000 pro Tag gestiegen. Im Mai und Juni waren es dagegen nur bis zu 500. Aber es wird seitdem auch viel mehr getestet. Mehr als eine Million Menschen geben zurzeit jede Woche eine Probe ab. Im Juni waren es nur halb so viele.

"Eine Erhöhung der Zahl durchgeführter Tests kann zu einem Anstieg der Fallzahlen führen", schreibt auch das Robert-Koch-Institut. "Da zuvor unentdeckte Infizierte auch ohne oder mit nur sehr milden Symptomen erkannt werden." Vor allem unter den routinemäßig getesteten Reiserückkehrern sind positive Fälle, die sonst wahrscheinlich unentdeckt geblieben wären.

Doch der Anstieg ist nur zum Teil auf die vermehrten Tests zurückzuführen. "Eine gute Kenngröße ist deshalb die Testpositivität, also die Anzahl der positiven Tests unter allen Tests", sagt Christian Althaus, Leiter der Forschungsgruppe Immuno-Epidemiologie am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern in der Schweiz. "Wenn die steigt, ist das kein gutes, aber ein relativ deutliches Zeichen, dass die Gesamtzahl der Infektionen zunimmt."

Das Science Media Center Deutschland hat diese Daten verglichen und festgestellt, dass die Zahl der gemeldeten Coronafälle von April bis Juli gesunken ist, obwohl auch in dieser Zeit immer mehr getestet wurde. Von Anfang Juli bis Anfang August stieg die Anzahl der Tests um knapp 32 Prozent, die Zahl der Fälle allerdings um 131 Prozent.

Mehr Tests, noch mehr Fälle

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Wie verlässlich sind die Tests?

Kritiker bemängeln immer wieder die Zuverlässigkeit der Viren-Nachweise. Dabei ist von zwei verschiedenen Verfahren die Rede. Beim sogenannten PCR-Test werden die Virenbestandteile einer Probe im Labor vermehrt bis sie nachweisbar sind. Das bedeutet, dass zum Zeitpunkt des Abstrichs Viren in der Nase oder im Rachen des Untersuchten vorhanden waren. Die Richtig-Positiv-Rate, das heißt die Sensitivität dieser Tests für Sars-Cov-2, liegt bei 99,8 Prozent. So gut wie alle, die ein positives Testergebnis erhalten, sind also auch tatsächlich infiziert.

Das größere Problem sind daher falsch-negative Ergebnisse. Wenn zum Zeitpunkt des Rachenabstrichs noch zu wenig Virusmaterial vorhanden ist, kann der Test negativ ausfallen, obwohl die Person bereits infiziert ist. Umgekehrt kann es auch falsch-positive Ergebnisse geben. Also eine Person, die positiv getestet wird und in Quarantäne muss, obwohl sie gar nichts hat. Je weniger solcher "Fehlalarme" es gibt, desto höher ist die Richtig-Negativ-Rate oder auch die sogenannte Spezifität eines Tests. Bei PCR-Tests für Sars-Cov-2 liegt sie bei bis zu 99 Prozent. Das bedeutet, wenn 100 gesunde Menschen getestet werden, bekommt einer ein falsch-positives Ergebnis.

Die zweite Testvariante sucht nach Antikörpern im Blut, die das Immunsystem als Reaktion auf die Infektion entwickelt hat. Auch hier liegt die Sensitivität der gängigen Anbieter bei 98,4 Prozent und die Spezifität bei 99,8 Prozent.

Wie viele Intensivbetten sind belegt?

Rund 230 Patienten mit Covid-19 werden derzeit deutschlandweit auf einer Intensivstation behandelt. Etwas mehr als die Hälfte davon (59 Prozent) muss künstlich beatmet werden. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) aktualisiert die Daten von knapp 1300 Krankenhäusern auf ihrer Webseite jeden Mittag. Demnach sind aktuell in Bayern insgesamt 3000 von 4200 Intensivbetten belegt – davon 34 mit Covid-19-Patienten.

In Deutschland sind derzeit durchschnittlich 30 Prozent der Betten frei. Der Ärzteverband Marburger Bund empfiehlt weiterhin, ein bestimmtes Kontingent für Corona-Infizierte frei zu halten und bei Bedarf regional nachzusteuern. Seit April müssen Krankenhäuser täglich melden, wie viele Plätze auf ihren Intensivstationen belegt sind. Im Frühjahr mussten die Kliniken noch die Hälfte der Betten freihalten.

Wie viele Menschen sterben an Covid-19?

In vielen Ländern steigt die Zahl der Infizierten weiter. Die Zahl der schweren Krankheitsverläufe und Todesfälle hingegen nicht. "Die Infektion zirkuliert derzeit vor allem unter jüngeren Altersgruppen und die sind weniger stark betroffen", sagt Christian Althaus. "Das Risiko, an Covid-19 zu sterben, pro Infektionsfall, ist stark altersabhängig, ab 60, 70 Jahren steigt es stark an." Im Durchschnitt sind die an oder mit Corona verstorbenen Personen in Deutschland derzeit 81 Jahre alt. 85 Prozent der aktuell 9325 Todesfälle (Stand 7. September) waren älter als 70 Jahre. 55 Prozent waren Männer und 45 Prozent Frauen.

In der Statistik der Gesundheitsämter werden alle Todesfälle gezählt, bei denen ein laborbestätigter Nachweis des Sars-Cov-2-Erregers vorliegt und "die in Bezug auf diese Infektion verstorben sind", schreibt das Robert-Koch-Institut. Häufig sei jedoch schwierig zu entscheiden, inwieweit die Infektion direkt zum Tod beigetragen hat. Deshalb werden derzeit sowohl Menschen erfasst, "die unmittelbar an der Erkrankung verstorben sind, als auch Personen mit Vorerkrankungen, die infiziert waren und bei denen sich nicht abschließend nachweisen lässt, was die Todesursache war".

Wie ansteckend sind Kinder?

"Die Rolle der jüngeren Altersgruppen bei der Übertragung ist immer noch ein Thema, bei dem wir zu wenig wissen", sagt Rafael Mikolajczyk, Direktor des Instituts für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. "Das wirkt sich stark darauf aus, wie man die Rolle der Schulen interpretieren soll." Neue Daten fließen erst nach und nach ein. Viele Faktoren sind unbekannt.

"Man weiß inzwischen, dass sich Kinder weniger leicht anstecken", sagt Mirjam Kretzschmar, Leiterin für mathematische Krankheitsmodellierung am Reichsinstitut für Volksgesundheit und Umweltschutz (RIVM) in den Niederlanden. "Aber wir wissen noch nicht, was das für die Übertragung bedeutet, wenn sie infiziert sind."

Reinhard Berner, Leiter der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden vergleicht das mit einem Puzzle: "Das Bild fügt sich mit jeder Studie nach und nach zusammen. Und das Puzzle ist noch lange nicht fertig." Er ist überzeugt, "dass Kinder keine große Rolle bei der Verbreitung des Virus spielen. "Aber bei mutmaßlich insgesamt stark steigenden Fallzahlen im Herbst, werden wir auch Infektionen in Schulen und Kindergärten und Kindertagesstätten haben", sagt Berner. "Da muss sehr genau überlegt werden, wie wir damit umgehen, um großräumige Schließungen zu verhindern."

Was hat die Corona-Warn-App bisher gebracht?

Die deutsche Corona-Warn-App ist von Mitte Juni bis September 17,8 Millionen Mal heruntergeladen worden. Über die Hotline wurde 2549 Mal eine teleTAN zur Verifizierung eines positiven Testergebnisses an Nutzer ausgegeben. Wie oft Nutzer damit wirklich ein positives Corona-Testergebnis über die App gemeldet haben, ist aber nicht klar. Außerdem können Testergebnisse mittlerweile auch nach dem Scannen eines QR-Codes übermittelt werden. Wie oft das bisher passiert ist, hat das Robert-Koch-Institut allerdings noch nicht bekannt gegeben.

Laut RKI wird zur Zeit definiert, wie eine wissenschaftliche Forschung zum Nutzen der App aussehen könnte. "Für eine größere Wirkung sollte idealerweise eine Mehrheit der Bevölkerung die App herunterladen und sie kontinuierlich laufen lassen", sagt Isobel Braithwaite vom University College in London. Sie und ihr Team haben die Wirkung von verschiedenen Methoden zur Kontaktverfolgung untersucht. "Wenn bei einer Begegnung mit engem Kontakt nur eine Person die App aktiviert hat, bringt sie nichts."

Macht eine einmalige Ansteckung langfristig immun?

"Am Anfang hatte man das angenommen", sagt Rafael Mikolajczyk. "Aber jetzt ist die Frage, wie lange man immun ist und ob es auch so etwas wie eine partielle Immunität gibt." Das bedeutet, dass der Schutz ausreichen würde, um selbst nicht zu erkranken, aber die Person die Infektion trotzdem weitertragen kann und andere infiziert.

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