Shelley bittet zum Tanz: 60.000 genießen Klassik Open Air

7.8.2016, 22:26 Uhr
Die Symphoniker und die Picknickwiese: Das ist das Flair des Klassik Open Air.

© Horst Linke Die Symphoniker und die Picknickwiese: Das ist das Flair des Klassik Open Air.

Das Motto "Verzaubert" erwies sich als disparat, wenig Open-Air-geeignet und etwas Dramaturgen-trocken. Hätte es mehr Stücke wie die erste Zugabe (Michal Glinkas Ouvertüre zu "Ruslan und Ludmilla") gegeben, die Stimmung an diesem leicht kühlen, sternenklaren Sommerabend wäre noch intensiver gewesen. Doch Kompositionen wie die redselige sinfonische Dichtung "Der wilde Jäger" von César Franck oder die differenzierte Ballettmusik zu Strawinskys "Feuervogel" entfalten ihre Wirkung einzig im Konzertsaal.

Viel wirkungsvoller fielen dagegen etwa Camille Saint-Saens' ironischer "Danse macabre" oder der Soundtrack zu "Beauty and the Beast" (das Stück für die Wunderkerzen) aus. "Als größten Organisten unserer Zeit", kündigte Alexander Shelley Stargast Cameron Carpenter an. Dessen "International Touring Organ" war erstmals im Freiluft-Einsatz.

Solchen Ankündigungen kann kaum einer stand halten, auch nicht der hippe Amerikaner mit den Glitzerschuhen: Bachs "Fuge und Toccata in d-moll" (BWV 565) war nicht wiederzuerkennen. Mit Notenwerten nimmt es der Virtuose nicht so genau, er huscht über Fugenthemen hinweg und springt von Mätzchen zu Mätzchen. Am Anfang klingt sein digitales Intrument wie eine schlecht gewartete Jahrmarktsorgel, dann geht es über Hammond-Anklänge Richtung Syntheziser-Sound, um sich dann in einen Kirchenton zu verflüchtigen.

Künstlerischer Garaus

So wenig Bach in seinen Strukturen und seiner Klangarchitektur zu hören war, so wenig entdeckte man Rachmaninow in seinen "Paganini-Variationen" wieder: Einem guten sinfonischen Stück wurde hier der künstlerische Garaus bereitet. In allem lässt sich der Klavierklang eben nicht auf Orgelmanuale und -pedale übertragen. Zum Ende durfte Carpenter aber noch einmal aufbrausen: Im Schlusssatz der "Orgelsinfonie" von Saint-Saens.

Danach bat Shelley seine Fans zum Tanz: Wo sich sonst Tatjana und Eugen Onegin in Tschaikowskys Oper holdselig, walzerfreudig drehen, wagten viele Klassik-Open-Air-Picknicker ein spätabendliches 3/4-Takt-Vergnügen.

"Wir wollen alle ein friedliches und tolerantes gesellschaftliches Miteinander", hatte Alexander Shelley, der in weißer Smoking-Jacke ans Pult trat, am Anfang in die Menge gerufen. Und genau das löste auch dieses Konzertformat im 17. Jahr seines Bestehens ein. Shelley ist mit jetzt acht Dirigaten übrigens Rekordhalter auf dem Podium.

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