Die Briten lieferten die Vorlage zum Abend

6.8.2017, 19:24 Uhr
Die Briten lieferten die Vorlage zum Abend

© Foto: Horst Linke

Wer sich für das Original interessiert, hat noch ein bisschen Zeit. Erst am 9. September beendet die "Last Night of the Proms" in der legendären Royal Albert Hall die Sommer-Konzertsaison in London, die sich selbst als das größte Klassikmusikfestival Europas bezeichnet. Wer keine Tickets mehr bekommt, der kann im Hydepark mit 40 000 Gleichgesinnten auf einer Großbildleinwand das Konzertereignis verfolgen.

Shelleys Abschiedsgala orientiert sich in Struktur und Dramaturgie an dieser britischen Vorlage. Der erste Teil ist üblicherweise klassischen Musikstücken vorbehalten, die Qualität haben und von Top-Künstlern vorgetragen werden. Im Londoner Fall wird das in diesem Jahr die Sopranistin Nina Stemme sein, die gegenwärtig bei den Salzburger Festspielen für ihre Darstellung in Schostakowitsch "Lady Macbeth von Mzensk" gefeiert wird. In der Royal Albert Hall wird sie Wagners Liebestod aus "Tristan und Isolde" zelebrieren.

Nürnberg braucht sich da nicht zu verstecken: Die Ouvertüre zu den Meistersingern deckt das Quantum Wagner ab, über das vor über einem Jahrzehnt noch ein Diskurs entbrannte, ob dessen Musik im Luitpoldhain überhaupt aufführbar sei. Geiger Daniel Hope als Stargast heimst derzeit nicht nur alle Echo-Klassik-Preise ein, die es zu gewinnen gilt, sondern konnte sich auch bei Max Bruchs 1. Violinkonzert von seiner besten Seite zeigen. Zuvor waren es wohl die Elfen in den Auszügen aus Mendelssohns "Sommernachtstraum", die dafür gesorgt hatten, dass die Regenwolken diesen Abschied nicht trüben sollten.

Nach der Pause zeigte sich Alexander Shelley ein letztes Mal in seiner Doppelrolle als smarter Dirigent der Nürnberger Symphoniker und als hinreißender Entertainer. Dass man mit der "Englischen Folk Song Suite" von Vaughan Willams als Wunschstück sicherlich nicht die erste Wahl getroffen hatte, war bei Miklós Rószas Filmmusik aus dem Hitchcock-Streifen "Spellbound" vergessen. Wer wollte im Wunderkerzenmeer nicht den Augen von Ingrid Bergmann nachträumen. Mit Hubert Parrys "Jerusalem" (dargeboten von Hans-Sachs-Chor und Philharmonischen Chor) erklang ein weiterer Traditionssong, der in keiner Last Night fehlen darf. Zu Henry Woods "Fantasia on British Sea Songs" durfte das Nürnberger Publikum nun hemmungslos dem Spleen der Engländer nacheifern: Flagge zeigen, Tränentuch schwenken, nach Herzenslust mitpfeifen und an der richtigen Stelle eines sich immer schneller bewegenden Folkthemas mitklatschen. Eine Aufgabe, über deren Durchführung sich Shelley nicht ganz zufrieden zeigte. ("Sie waren die ganze Zeit zu spät!"). Vielleicht ist ja im Flug nach Ottawa genug Zeit, um über das Phänomen der Schallwelle nachzudenken, welche die Bühne aus 200 Metern Entfernung erreicht.

Wer schnell genug zu Hause war, konnte am Fernseher das Ende des Konzertes noch einmal zeitversetzt verfolgen, nun in Nahaufnahme und von einer Klangqualität, die man sich auch in Europas grünstem Konzertsaal gewünscht hätte. Bis auf die letzte Zugabe wurde das Konzert übertragen, dessen urbritische Attitüde ("Pomp and Circumstance") vor dem Hintergrund des Brexit gleich mehrfach durch Shelleys klare Bekenntnisse zur europäischen Idee und Kultur vor Missverständnissen bewahrt blieb. Üblicherweise endet die "Last Night oft the Proms" mit dem Absingen der britischen Nationalhymne. Auch hier fand man für Shelleys Good Bye ein passendes Finale: "Auf Wiedersehn, bleib nicht so lange fort" stimmten Chor und Publikum gemeinsam ein. "Denn ohne Dich, ist’s halb so schön, darauf hast Du mein Wort." Danke, Alexander Shelley.

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