Ausprobieren ist ausdrücklich erwünscht

14.8.2017, 17:54 Uhr
Ausprobieren ist ausdrücklich erwünscht

© Anja Lanz

"Iiih, meine Finger sind klebrig", sagt das kleine dunkelhäutige Mädchen mit dem Kopftuch. Kein Wunder: Zusammen mit sieben anderen Kindern bastelt es eine Trommel – aus Blumentöpfen und Backpapier. Das geht natürlich nicht ohne Klebstoff. Aber der soll Backpapier und Topf zusammenhalten – und nicht die Finger verkleben.

Das Basteln ist Teil des Sommercamps in einigen Räumen des Nürnberger Martin-Behaim-Gymnasiums, die die Stadt Nürnberg kostenlos zur Verfügung gestellt hat. "Durch Aktionen wie diese sollen Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen gezielt gefördert werden", erklärt Monika Gorbahn von der Bürgerstiftung Nürnberg, die das Programm mittlerweile seit zehn Jahren fördert und mit etwa 20 000 Euro mitfinanziert.

Insgesamt nehmen 41 Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren teil. Für 32 von ihnen ist Deutsch nicht die Muttersprache, fünf kommen sogar aus Flüchtlingsunterkünften. Einige nehmen schon zum zweiten oder gar dritten Mal teil. Der Unterricht dauert von acht bis 16 Uhr. Mittags machen die Gruppen versetzt eine kleine Pause.

Besondere Art des Praktikums

Unterrichtet werden die Kinder nicht von fertig ausgebildeten Lehrerinnen. Vielmehr wird jede der vier Gruppen von zwei bis drei Studentinnen betreut. "Das Sommercamp ist eine gute Möglichkeit, eines der im Lehramtsstudium geforderten Praktika zu absolvieren", meint Andrea Hunneshagen.

Ausprobieren ist ausdrücklich erwünscht

© Fotos: Anja Lanz

Sie hat Didaktik des Deutschen als Zweitsprache im Erweiterungsstudium gewählt und ist als eine von zehn sogenannten Förderlehrkräften dabei. "Hier haben wir die Möglichkeit, Schule mal ganz anders zu erleben. Denn Ausprobieren ist hier ausdrücklich erlaubt", sagt Andrea. Die Vorbereitung hat viel Arbeit gekostet. In vier Blockseminaren wurden alle erfolgreichen Bewerberinnen geschult. Jetzt arbeiten die Studentinnen in Teams. So hat sich Andrea mit ihrer Partnerin auch mal in ihrer Freizeit getroffen, um ihre Vorgehensweise zu besprechen.

Natürlich werden die Studentinnen nicht ganz alleine gelassen: "Man hat das Gefühl selbstständig arbeiten zu können, aber man wird auch engmaschig von den Didaz-Dozenten begleitet", meint Andrea. Unterstützt werden die Studentinnen durch zwei Jugendliche, die vor einigen Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind sowie von einer Praktikantin des Jugendamtes.

In einem anderen Raum sitzen die Kinder im Kreis und singen. Die Musikpädagogin Annemarie Haberecht, die beim Sommercamp mithilft, begleitet die Guppe am Klavier. Zusammen mit zwei Studentinnen haben die Kinder ein Lied eingeübt. Dessen Rhythmus unterstützen sie lautstark, indem sie mit ihren Plastiktrinkbechern kräftig auf den Boden klopfen.

"Um das Gemeinschaftsgefühl in der Gruppe zu stärken, haben wir uns etwas Besonderes ausgedacht", erklärt Evelina Winter. Sie ist studentische Mitarbeiterin am Didaz-Lehrstuhl und zuständig für die Organisation des Sommercamps. "Morgens singen wir alle zusammen ein internationales Begrüßungslied, in dem jedes Kind in seiner Landessprache den anderen ,Guten Morgen‘ wünscht."

"Weil es im Sommercamp um Musik geht, haben wir uns zu Beginn damit beschäftigt, was Hören überhaupt bedeutet", erläutert Evelyn Beck, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik des Deutschen als Zweitsprache. Sie hat bereits im 3. Jahr die pädagogische Leitung des Sommercamps übernommen.

Richtiges Lehren lernen

"Dazu haben wir uns im Biologie-saal der Schule ein Modell eines Ohres angeschaut. Und dabei sind wir auf den Begriff ,Ohrknöchelchen‘ gestoßen", erklärt Evelyn. "Das war eine sehr gute Möglichkeit, den Kindern die deutsche Verkleinerungsform ,-chen‘ beizubringen, die es in anderen Sprachen ganz anders oder vielleicht gar nicht gibt."

Sprachsensiblen Fachunterricht nennen das die Experten, wenn alle wichtigen, verwendeten Begriffe so ausführlich erklärt werden, dass sie jedes Kind versteht. Denn die Kernfrage für die Studierenden im Sommercamp lautet: "Wie vermittle ich fachliche Inhalte an Kinder, die sprachlich nicht so fit sind?"

Und um die Sache mit dem "-chen" zu vertiefen, haben die Kinder dann noch ein Lied gelernt: "In meinem kleinen Apfel" geht es um Stübchen und Kernchen geht.

Nicht nur die Kinder, auch die Lehramtsstudentinnen lernen dabei eine ganze Menge. "Normalerweise sitzt man ja bei einem Praktikum nur hinten drin", sagt Andrea, "hier kann man den ganzen Tag selbst Unterricht halten."

Das ist schließlich der Sinn von Didaktik: das richtige Lehren zu lernen. Oder wie Monika Gorbahn sagt: "Didaktik bedeutet: Wie merke ich, dass das, was ich sage, nicht ankommt?"

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