Magie im Mondlicht

17.9.2017, 18:59 Uhr

Alexander Shelleys Abschied unterm Sternenhimmel war für den Klangkörper, der eine Spielzeit ohne Chefdirigenten bestreiten muss, ein Wendepunkt. Einen späten Aufbruch wagte hingegen Menahem Pressler: Mit inzwischen fast 94 Jahren gab die Pianistenlegende am Samstagabend ihr Debüt bei den Symphonikern.

Beethovens erstes Klavierkonzert hat der Gründer des Beaux-Arts-
Trios seit mehr als 45 Jahren nicht mehr gespielt. Es ist charakteristisch, dass er das Werk jetzt wiederaufgenommen hat: Seinerzeit, an der Wende zum 19. Jahrhundert, markierte es den Aufbruch des Musik-Titanen in die Zukunft; heute sagt Pressler uns damit, dass er den Blick noch immer nach vorne richtet.

Seine Biografie – sie umfasst die halbe deutsche Geschichte in allen Abgründen und Gipfeln – hat ihm eine Aura verliehen, die noch immer wirkt. Und leicht darüber hinweghören lässt, dass der greise Genius Beethoven’scher Virtuosität physisch nicht mehr ganz gewachsen ist: Das Orchester muss die Dynamik unter dem sensiblen Gastdirigat des Finnen Ari Rasilainens einige Stufen herunterdrehen, damit sich die schwachen Anschläge überhaupt noch durchsetzen können; im Rondo hört man nur noch den Abglanz einstiger Brillanz, so dass die Frage erlaubt sei, ob sich Pressler mit einem solchen Konzertkaliber noch einen Gefallen tut.

Und doch sind da wieder magische Momente: Im Largo etwa, wenn die fast gehauchten Tönchen aus dem Flügel in den Dialog mit der Klarinette treten, oder wenn Debussys "Clair de Lune" als Zugabe mit unendlicher Innigkeit Strahlen in die Meistersingerhalle wirft. Für dieses ewige Licht sind die stehenden Ovationen des Publikums der mindeste Dank.

"Wer hat das in den Sternen gesehen?", könnte mancher angesichts dieses einzigartigen Künstlerlebens fragen und sich damit an Martin Luther reihen. Die Frage, die der Wittenberger von Weltbedeutung einst rückblickend auf seine Revoluzzer-Vita stellte, hat Henrik Ajax als Titel einer Auftragskomposition zum Reformationsjahr erkoren. Es soll eine tönende Luther-Biografie sein, und der schwedische Komponist zitiert in dem weitgehend atonalen Werk denn auch mehrmals die Melodie von "Verleih uns Frieden gnädiglich".

Weitere Anknüpfungspunkte sind hingegen der Interpretation des Hörers überlassen: Abgesehen von der Choral-Reminiszenz hätte es auch eine Vertonung von, sagen wir, dem Leben Angela Merkels sein können – so unkonkret war die Ausgestaltung der wenig zugänglichen Uraufführung.

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