Ein Visionär und Arbeiter in Sachen feiner Klangkultur

23.9.2018, 18:58 Uhr
Ein Visionär und Arbeiter in Sachen feiner Klangkultur

© Foto: Peter Roggenthin

Nach dem großen Doppelkonzert mit den Nürnberger Symphonikern im März begann für Kahchun Wong am Samstag in der Meistersingerhalle gewissermaßen der Alltag der Abonnementkonzerte. Nach den schon zur Tradition gewordenen Begrüßungsworten von Symphoniker-Intendant Lucius A. Hemmer lautete das Motto "Starker Start". Das war wie beim Einstand von Joana Mallwitz als neuer Generalmusikdirektorin der Staatsphilharmonie Nürnberg einen Abend zuvor (siehe Artikel oben) erst einmal einzulösen – und bereitete den Symphonikern durchaus Schwierigkeiten.

Ähnlich wie bei der groß dimensionierten 5. Sinfonie von Gustav Mahler im März, die Wongs Anspruch untermauern sollte, die Nürnberger Symphoniker fit für die Werke dieses Spätromantikers zu machen, ging die Programmplanung auch dieses Mal wieder in Richtung spätromantische Besetzung – ein Kraftakt für ein Orchester mit knapp 60 Planstellen.

Dass man damit dann Klangeffekte erzeugen kann, die den erlebnisorientierten Ansprüchen des heutigen Publikums entsprechen, bewies Wong mit der einleitenden Auftragskomposition von Kah Hoe Yii aus Malaysia. Sie lautet "Concerto 4 Orchestra" und folgt der programmatischen Idee des Singapurers Wong, dem Publikum der Symphoniker zeitgenössische Werke südostasiatischer Komponisten nahe zu bringen.

"Concerto 4 Orchestra" tut dies explizit, es variiert virtuos Naturlaute und Geräuscheffekte, erzeugt ein kraftvolles Klanggespinst mit solistisch hervorgehobenen Instrumenten wie der Harfe, den Holzbläsern oder Streichern. Das gelang den Symphonikern atmosphärisch dicht, ebenso der klangdramatische Bogen in Form eines großen Finalcrescendos. Exotisch im Klang, aber ansonsten wenig überraschend und nachhaltig, so könnte man die Wirkung dieses Werks beschreiben. Kah Hoe Yii kam mit aufs Pult und nahm den etwas schütter bleibenden Applaus entgegen.

Danach ging es mit einem Klassiker der Geigenliteratur weiter: Wong baute mit den Symphonikern bei Brahms’ Violinkonzert ein ausgreifendes Eröffnungsportal auf, von dem sich der schlanke, gleißend angriffslustige Ton der renommierten japanischen Solistin Midori wirkungsvoll abhob. Brahms verwob den Solopart wie in einer Sinfonie mit den Motiven im Orchester. Midori machte trotzdem ihr eigenes Ding, ihre Interpretation wirkte wie ein weltabgewandtes Exerzitium, mal innig, oft feurig, nicht immer spannungsvoll, die ausgedehnten Kadenzen brachten die Proportionen in Schieflage. Wong achtete aufmerksam darauf, dass die Symphoniker im jeweiligen Stimmungsbild blieben und zu diesem großen Geigen-Selbstgespräch einigermaßen gleichwertige Akzente beisteuern konnten.

Da merkte man, was für ein akribischer Klangkultur-Arbeiter Wong ist, wie er sich in Details versenkt, so dass der Orchestervortrag dann auch mal ziemlich introvertiert wirken kann, etwa im sehr innig und behutsam musizierten Adagio.

Dafür ging es im Finalsatz umso rasanter zur Sache, Midori entfesselte mit ihrem Instrument sämtliche virtuose Energien, ohne wirklich zu einem organisch stimmigen Ausklang zu finden. Für den Beifall bedankte sie sich mit dem Präludium aus Bachs E-Dur Partita für Solovioline.

Wie weit die Arbeit mit den Symphonikern schon gediehen ist, konnte Wong nach der Pause mit Béla Bartóks auswendig dirigiertem "Konzert für Orchester" beweisen. Einzeln oder in kleinen Gruppen werden die Spieler bei diesem meisterhaft instrumentierten Konzert hervorgehoben, im ersten der fünf Sätze nutzen u. a. die Streicher, Querflöte, Posaune oder Klarinette nachdrücklich die Chance. Vor allem aber gefiel, wie klug Wong die Balance dieses raffiniert durch fugierte Passagen zusammengehaltenen Werks steuerte.

Das überzeugte auch beim Zusammenspiel zwischen kleiner Trommel und Holzbläsern im zweiten Satz oder bei der eindringlichen Stimmung mit Bläserakzenten und Streicherwogen im Nocturne. Die Marschgroteske, in der Bartók das von Schostakowitsch in der Leningrader Sinfonie aufgegriffene "Maxim"-Thema Lehárs veralbert, brachte etwas befreienden Spielwitz ins ernste Geschehen, bevor im Finale ein wirbelnder Themen-Loop diese insgesamt etwas streng geratene Bartók-Feier zu einem Ende brachte.

Da fehlte noch ein wenig der freie Atem, aber Wong stellte bei seinem offiziellen Einstand als Chefdirigent klar: Mit ihm können die Konzerte der Nürnberger Symphoniker zu einem Klangerlebnis von hoher Güte werden. Gute Aussichten für die Zukunft.

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