Zum Verlieben schön

27.1.2019, 18:03 Uhr

Doch statt Anklängen an Ödön von Horváth oder den biblischen Tugenddreiklang erwartete die Zuhörer eine mutige Werkzusammenstellung, deren roter Faden durch vergangene Kooperationen der Symphoniker selbst gespannt war.

Solitär blieb da nur das Eingangsstück. Leopold Stokowskis Bearbeitung der Bach-Arie "Komm, süßer Tod" entsprach wohl weniger der Nahtod-Erfahrung der Freunde der historischen Aufführungspraxis in diesem Augenblick, sondern war als ein meditatives Orchestergebet zu erleben, das Charles Ives näher stand als Buxtehude.

Womit wir schon in den USA angekommen waren, wo die Südkoreanerin Fabiola Kim (Jahrgang 1991) ihre musikalische Veredelung erfahren hat. Dass sich die junge, fast zierlich anmutende Geigerin auch für Risikosportarten wie Tauchsport und Bungee-Jumping interessiert, gab nicht das Programmheft preis, sondern ihr Instagram-Account.

Vor zwei Jahren nahm sie mit den Nürnberger Symphonikern eine CD mit den Violinkonzerten von Jean Sibelius und Samuel Barber auf. Das verbindet. Nun stand sie auf der Bühne und präsentierte das beliebte Violinkonzert op. 64 von Mendelssohn, das auf keiner Repertoireliste eines Violinisten fehlen darf.

Vom ersten Takt an spielt sie dieses anspruchsvolle Werk mit Schwung und in perfekter Virtuosität, ohne dabei ein Übermaß an Ego zu entwickeln. Ihre Interpretation saß so perfekt und elegant wie ihr rotleuchtendes Abendkleid: zum Verlieben schön.

Und auch zum Hauptwerk des Abends knüpften die Nürnberger Symphoniker eine persönliche Beziehung. Vor fast fünf Jahren spielten sie – gleichfalls unter der Leitung des an diesem Abend stabführenden En Shao – die 2. Symphonie des chinesischen Komponisten Xia Guan (Jg. 1957) ein. Weltanschauungsmusik, raunt einem das Programmheft ehrfurchtgebietend entgegen. Und auch die dreiteilige Struktur des 45-minütigen Werks gleicht einer symphonischen Wallfahrt aus dem Dunkel ins Helle: Erwartung, Wärme und Licht lauten die Stationen der Läuterung.

Klingt wie Filmmusik

In der Umsetzung ist dieser musikalische Anspruch erfreulich abwechslungsreich und von einer Unterhaltsamkeit, welche von der Gebrochenheit der Mahlerschen Symphonik nichts wissen möchte. Überaus geschickt wechselt die Komposition die Stimmungen, wenn nach großem Orchestertutti die Einzelstimmen wieder fast meditativ neu beginnen oder Oboen und Hörner auf großen Streicherteppichen fliegen dürfen.

Chinesische Folklore sucht man vergebens, dafür findet man viel Europa und Hollywood. Dass Xia Guan in seiner Heimat auch Filmmusik komponiert, ist unüberhörbar. Anklänge an Schostakowitsch? Möglicherweise, aber in der Summe klingt es dann doch eher wie der Soundtrack zum "Fluch der Karibik" – pardon – zum Fluch des Südchinesischen Meeres.

Alles wird gut – hoffentlich.

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