Das ganz andere Gymnasium

30.9.2010, 07:19 Uhr
Das ganz andere Gymnasium

© Hagen Gerullis

Zum Glück ist „Retro“ gerade schick. So wirkt die Mischung aus abgenutzter Industriearchitektur und moderner Wohnlichkeit im fünften Stock des leeren Quelle-Versandzentrums äußerst charmant. Binnen nur vier Wochen hat die Elterninitiative der Jenaplan-Genossenschaft Klassen-, Speise- und Lehrerräume eingebaut. Die Aussicht über die Stadt ist fantastisch. 101 Kinder zwischen zehn und 15 Jahren sowie 14 Lehrkräfte haben hier zu Schuljahresbeginn das erste Jenaplan-Gymnasium Bayerns in Betrieb genommen.

Der Kraftakt der ehrenamtlichen Genossenschaft sei zu bewundern, lobte Oberbürgermeister Ulrich Maly bei seinem Besuch gestern. Zum einen würden die „Anerkennungsrituale“ des Freistaats die Gründung einer Privatschule nicht eben erleichtern. Zum anderen „habt ihr Mut bewiesen, in dieses Gebäude zu gehen“. Es sei ein gutes Zeichen, wenn nicht immer nur großflächiger Einzelhandel Nürnbergs Leerstände beende, sondern dass jetzt ein knappes Jahr nach der Quelle-Insolvenz wieder Lärm und Fröhlichkeit der Tristesse entgegenstünden. „Tolle Schule“, urteilte Maly nach der Besichtigung.

Auch Lara Rosenkranz fühlt sich wohl. Nach der fünften Klasse im städtischen Sigena-Gymnasium hat die Elfjährige ihre Freundinnen zurückgelassen. „Es ist viel freier hier. Man darf mehr Sachen selbst entscheiden.“ Zum Beispiel gestalten die Kinder mit eigenen Kissen und Bildern das Zimmer ihrer „Stammgruppe“, wie die 25-köpfigen Klassen aus drei Jahrgängen in der Jenaplan-Reformpädagogik heißen, und wählen Teile ihres Stundenplans selbst.

Der in den 1920er Jahren entwickelte „Jena-Plan“, die Kinder aus sich selbst heraus zum Arbeiten zu motivieren, funktioniere schon in der dritten Woche gut, sagte Schulleiter Matthias Schwaiger. Mehr als 80 Eltern engagieren sich bereits in Arbeitsgruppen. Im kommenden Jahr sollen mindestens 50 weitere Schüler aufgenommen werden; aus 400 soll das Gymnasium einmal bestehen. Deshalb geht der Ausbau der umliegenden Räume sofort weiter. Auch ein Dachgarten ist geplant.

Das monatliche Schulgeld pro Kind beträgt 325 Euro. Dazu kaufen die Eltern sich mit 500 Euro in die Genossenschaft ein. Das Jenaplan-Gymnasium finanziert sich anfangs durch einen Kredit. Erst im siebten Jahr hat es nennenswerte staatliche Zuschüsse zu erwarten. Noch eine Besonderheit hat die Schule: Die Kinder müssen strenge Sicherheitsregeln befolgen, um sich im größten Gebäude Nürnbergs – das einen guten Abenteuerspielplatz abgäbe und vorschriftsgemäß immer noch eine eigene Hausfeuerwehr hat – nicht zu verirren. Mittlerweile sind die Aufzüge so gesteuert und die Türen so versperrt, dass man vom Weg zwischen Ein- und Ausgang kaum mehr abkommen kann.