Mädchen lernen Fremdsprachen besser als Jungen

10.2.2015, 20:52 Uhr
Mädchen lernen Fremdsprachen besser als Jungen

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Als Kind in Wilhelmshaven hat er Plattdeutsch gelernt, das war es dann aber auch schon mit den „Fremdsprachen“. Englischunterricht hatte Heiner Böttger erst in der fünften Klasse am Gymnasium. „Da war es längst zu spät“, sagt er. „Je eher man eine Sprache lernt, desto leichter ist es.“ Schon oft haben Wissenschaftler die Vorteile eines frühen Fremdsprachenunterrichts hervorgehoben, durch den Schüler spielerisch und nebenbei lernen sollen. „Das waren meistens Pädagogen, die sich den Lernfortschritt von außen angesehen haben“, sagt Böttger. „Wir haben in die Köpfe der Kinder geschaut.“

Heiner Böttger hat knapp 20 Jahre lang an Mittel- und Realschulen in Nürnberg und Umgebung unterrichtet, bevor er in die Forschung wechselte. Einige kennen ihn noch als Trainer beim Nürnberger Sportverein Post SV oder als Sportlichen Leiter des Handballclubs Erlangen. Seit 2007 ist Böttger Professor für Englischdidaktik an der Katholischen Universität Eichstätt. Gerade hat der 54-Jährige ein Forschungssemester in New York verbracht und dort mit Medizinern zusammengearbeitet. Auf die Idee brachte ihn auch die Arbeit seiner Frau. Sie ist Radiologin und erklärte ihm die Verfahren der medizinischen Bildgebung.

„Auf den Gehirnscans ist zu sehen, dass Kinder, die zweisprachig aufwachsen, beide Sprachen in einem Areal im Gehirn verarbeiten“, sagt er. Jede weitere Sprache, die sie lernen, stimuliert dieselbe Stelle. „Wer aber einsprachig aufwächst, hat für jede Sprache ein eigenes Areal.“ Und das ändert sich auch im Laufe des Lebens nicht mehr. „Pech gehabt.“ Mit vier bis fünf Jahren können Kinder ihre Muttersprache, sie kennen den Wortschatz und die Grundzüge der Grammatik, ohne sie theoretisch gelernt zu haben. Die Erkenntnisse sind auch interessant für Kinder mit Migrationshintergrund. „Was wäre, wenn sie weiter in ihrer Muttersprache gefördert würden?“, fragt Böttger. „Nach allem was wir heute wissen, wären das die überlegenen Sprachenlerner.“ Böttger kommt aus Niedersachsen. „Wenn ich in Franken bin, denke ich auch nicht darüber nach, ob ich gerade Fränkisch oder Hochdeutsch spreche.“ Der Mensch passt sich seiner Umgebung an.

Mädchen nutzen beide Hirnhälften

Bei der Auswertung ihrer Bilder ist den Wissenschaftlern noch etwas aufgefallen: Es gibt Unterschiede in den Gehirnen der Jungen und Mädchen. „Jede Grundschullehrerin wird bestätigen, dass sich viele Schülerinnen beim Lesen und Schreiben leichter tun als ihre Klassenkameraden“, sagt Böttger. „Bei Mädchen sind die Sprachregionen im Gehirn dicker, mit mehr Verknüpfungen zwischen den Nerven.“

Wenn Jungen sprechen, ist vor allem die linke Hirnhälfte aktiv. Bei Mädchen sind es beide Seiten. Bei einem traurigen oder fröhlichen Buch fühlen sie eher mit und erfassen den Inhalt dadurch bewusster. „Das hat aber nichts mit mehr oder weniger Intelligenz zu tun, sondern ist biologisch einfach so“, sagt Böttger. Dazu kommt, dass Mädchen sich hormonell bedingt schneller entwickeln. Um die Nervenfasern herum bildet sich im Laufe der Zeit eine Markschicht und je dicker dieser Myelin-Mantel ist, desto schneller werden Impulse weitergeleitet. „Die Myelinisierung des Sprachzentrums erfolgt bei Jungen um zwei bis drei Jahre zeitversetzt – dadurch ergibt sich eine ganz schöne Schieflage“, sagt der Wissenschaftler. Erst im Alter von 16 bis 18 Jahren gleicht sich der Unterschied wieder aus. „Trotzdem lernen Jungs im gleichen Alter, auf die gleiche Art und Weise, im gleichen Klassenzimmer das Gleiche.“ Bildungsungerechtigkeit nennt er das.

Mädchen lernen Fremdsprachen besser als Jungen

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Doch den Lehrern gibt er nicht die Schuld. Das sei kein Thema im Studium. Referendare bräuchten dafür Grundkenntnisse in Medizin und Biologie und neue Erkenntnisse müssten schneller in der Ausbildung ankommen. Die Böttgers haben zwei Söhne, denen sie bis zum Alter von elf Jahren sehr viel vorgelesen haben. „Ich wusste, dass Jungs das brauchen. Sie sind jetzt 19 und 21 Jahre alt und hatten noch nie Probleme bei der Texterfassung“, sagt er. Mädchen können sich länger konzentrieren. Wenn Grundschullehrerinnen auf Jungs treffen, die gern auf dem Stuhl kippeln, mit Stiften spielen und durchs Klassenzimmer rennen, führt das oft zu Unverständnis und Stigmatisierung. Sie denken, die Jungs wollen nicht. „Ein Verständnis für Jungen in diesem Alter zu haben, heißt auch, ganz stark differenzieren zu können – und das gibt unser aktuelles Schulsystem nicht her.“

Getrennter Unterricht ist für Böttger keine Lösung. „Wir brauchen eine gemeinsame Erziehung, um Verständnis füreinander zu entwickeln.“ Lieber wären ihm altersgemischte Klassen, in denen Mädchen, die schon weiter sind, mit den älteren lesen und schreiben können, ohne gleich eine ganze Klasse überspringen zu müssen, denn Unterforderung ist genauso schlecht wie Überforderung.

Englischer Sportunterricht

In Bayern steht Englisch derzeit ab der dritten Klasse auf dem Stundenplan. Im Herbst startet Böttger im Auftrag des Kultusministeriums einen Modellversuch an 20 Grundschulen im Freistaat, eine ist in Nürnberg. Sie beginnen in der ersten Klasse mit zweisprachigem Sport-, Musik- und Kunstunterricht. „Dann lernen die Kinder die Sprache tatsächlich nebenbei und nicht in einem extra darauf ausgelegten Unterricht.“ Eine seiner Studien mit 40 000 Neuntklässlern hat den Erfolg des bilingualen Sachfachunterrichts gezeigt. „Die Kinder haben weniger Vorbehalte, in der fremden Sprache zu sprechen“, sagt er. „Wir schulen die Lehrkräfte auch vorher.“ Ab dem neuen Schuljahr wird es außerdem 120 bilinguale Realschulen in Bayern geben, in denen ab der sechsten Klasse auch Fächer wie Biologie und Geschichte auf Englisch unterrichtet werden.

Bewegung und Musik fördern das Lernen einer Sprache, das ist bei Babys, denen ihre Eltern vorsingen, genauso wie bei faulen Teenagern. „Im Englischunterricht sollten Lehrer nicht nur die Balkonszene aus Romeo und Julia nachstellen, sondern auch den Schwertkampf“, sagt Böttger. „Das bleibt bei den Jungs hängen.“ Statt um heile Familiengeschichten sollte es in den Schulbüchern viel öfter auch um Monster, Weltraum, Science Fiction, Krieg und Frieden gehen. „Das interessiert Jungs und Mädchen – nicht nur weichgespülte Geschichten für Vierjährige, die keine Emotionen erzeugen.“

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