Vater statt nur Besuchsonkel und Bezahlpapa

24.5.2013, 00:00 Uhr
Vater statt nur Besuchsonkel und Bezahlpapa

Über vier Jahre lang hat es funktioniert. Eine Woche lebten beide Kinder bei der Mutter, eine Woche beim Vater. Dann hatte die Mutter keine Lust mehr auf die Hin- und Herfahrerei, keine Lust auf die Unstimmigkeiten und Streitereien mit ihrem Ex. Sie zog vor Gericht, dreimal. Bis ihr das alleinige Sorgerecht zugesprochen wurde. Hauchdünn fiel die Entscheidung zugunsten der Mutter aus, 51 Prozent sprächen für sie, 49 Prozent für den Vater, sagte der Richter. Jetzt darf der Vater seine Kinder nur noch jedes zweite Wochenende sehen und in den Ferien.

„Man hat mich aus dem Leben geworfen“, sagt Klaus John, der Vater. „Man“, damit meint er seine Ex-Frau, das Jugendamt, das Gericht, die Gesetzgeber. Er zitiert das Grundgesetz, Artikel 6, Absatz 2: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ John ist einer der Eltern und nimmt seine Rolle als Vater ernst. Er fühlt sich diskriminiert, der Behördenwillkür ausgeliefert und derart im Stich gelassen, dass er sich auf die Suche nach Leidensgenossen machte. Er initiierte das Väternetzwerk der Metropolregion Nürnberg, eine Anlaufstelle für Männer in ähnlicher Situation.

„Wir setzen uns für ein modernes und zeitgemäßes Väterbild und für echte Gleichberechtigung in allen Bereichen der Gesellschaft ein“, erklärt John. Gleichberechtigt sollen die Kinder nach der Trennung im Doppelhaushalt versorgt und erzogen werden, gleichberechtigt sollen die Eltern Berufstätigkeit und Kinderbetreuung auch getrennt lebend gestalten. Vor kurzem feierte das Väternetzwerk seine Vereinsgründung. John kann angesichts der sich verändernden gesellschaftlichen Strukturen damit rechnen, dass die Mitgliederzahl stetig steigt.

Ein Vater: „Meine Kinder haben seit drei Jahren keinen Kontakt zu mir, ihrem Vater. Das Jugenamt und das Familiengericht sagen, sie tun ihr Bestes, aber es sei ein schwieriger Fall. Ich habe Väter getroffen, die ihre Kinder seit 8, 10 und seit 20 Jahren nicht mehr gesehen haben.“

Kinder zur Mama, der Papa als Besuchsonkel und Zahlmeister – diese staubigen Stereotypen gehören mehr und mehr der Vergangenheit an. Die Berufstätigkeit von Mann und Frau führt automatisch dazu, dass der Vater in die Erziehungspflicht genommen wird und werden will. Mit einer Trennung oder Scheidung endet zwar die Paarbeziehung – aber nicht die Elternschaft.

Doch das Scheidungsrecht hält nicht Schritt mit den strukturellen Veränderungen der Familien. Noch immer leben in Deutschland die meisten Kinder bei ihrer Mutter, noch immer ist das Wiedersehen mit dem Papa nicht viel mehr als ein Besuch. Über den Alltag des Kindes bestimmt der Elternteil, bei dem das Kind lebt. Es ist aber genau dieser Alltag mit Schule und Freizeit, Hausaufgaben und häuslichen Pflichten, Krankheiten und Festen, dem Übernachten des Freundes, dem abendlichen Vorlesen und der Diskussion über den Fernsehkonsum, der über die Eltern-Kind-Bindung bestimmt – und nicht der eine gemeinsame Ausflug in den Tiergarten. Das sogenannte Residenzmodell – der Lebensmittelpunkt ist bei einem Elternteil angesiedelt – sei zu stark mutterzentriert und zu wenig kindorientiert, sagt Hildegund Sünderhauf-Kravets. Das Ergebnis: Die Beziehung zwischen Vater und Kind flacht ab, häufig verliert sie sich mit der Zeit sogar ganz.

Ein Vater: „Ich bin aus dem Leben meiner Kinder vollständig entfernt. Früher habe ich an den Wochenenden mit ihnen gespielt, habe ihnen vorgelesen, habe ihnen Spielsachen gebastelt, wir sind zusammen ins Schwimmbad gegangen oder haben herumgealbert. Meine Kinder wollen mit mir nichts mehr zu tun haben, sie wachsen ohne mich auf. Es kümmert niemanden, wie das gekommen ist und warum das so geworden ist.“

Hildegund Sünderhauf-Kravets ist Professorin für Familienrecht an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. In Kürze erscheint ihr Buch „Wechselmodell: Psychologie – Recht – Praxis“, die erste deutschsprachige Veröffentlichung zu diesem Thema. Wechselmodell oder auch Doppelresidenzmodell, das bedeutet: Das Kind lebt im Wechsel bei beiden Elternteilen. Es hat zwei Haustürschlüssel, sein Name steht an zwei Haustüren, es hat in jedem Haushalt seine Freiräume und seine Aufgaben, es ist bei jedem Elternteil zu Hause.

Klingt gut, aber ist das auch gut für die kindliche Entwicklung? Mit dieser Frage stieg Sünderhauf-Kravets, die vor dem Lehrberuf als Scheidungsanwältin arbeitete, in ihre Forschung ein. Drei Jahre später – es gibt etwa 45 psychologische Forschungsstudien zu den Auswirkungen des Wechselmodells – weiß sie: Es geht. Es fehlt uns, der Gesellschaft und dem Gesetzgeber, bislang nur an Fantasie für die Umsetzung.

Allein der Blick ins Ausland genügt: Das Wechselmodell ist zum Beispiel in Frankreich, Italien, Tschechien, Schweden und in den Vereinigten Staaten gesetzlich als Betreuungsalternative vorgesehen und wird millionenfach erfolgreich praktiziert. In Australien und Belgien hat es sogar gesetzlich Vorrang. Das heißt, es muss ein begründeter Antrag gestellt werden, warum das Wechselmodell nicht praktikabel ist. „Bei uns wird es nicht untersagt – es ist einfach nicht vorgesehen“, kritisiert die 47-Jährige.

Ein Vater: „Ich bin ein unbescholtener Bürger, habe mir nichts vorzuwerfen und meine Kinder immer liebevoll gefördert und mit ihnen viel unternommen. Jetzt muss ich mich von heute auf morgen durch ein einseitiges Gutachten der Umgangsdiktatur der Mutter beugen, bin ohnmächtig, von meinen Kindern abgeschnitten. Lehrkräfte und Kinderärztin geben mir plötzlich keine Auskunft mehr, weil die Mutter jetzt wesentliche Teile des Sorgerechts hat.“

Die Ergebnisse der Wissenschaftlerin sind eindeutig: Wachsen Kinder mit beiden Eltern auf, sind sie physisch und psychisch stabiler, haben ein besseres Selbstbewusstsein und vor allem weder Bindungsstörung noch Verlustängste. Auch die Vermittlung der Werte und Normen von beiden Elternteilen wirkt sich bereichernd auf die Entwicklung des Kindes aus. Das Verhältnis zum Vater im Wechselmodell ist sogar noch enger und vertrauensvoller als in einer intakten Familie, ergab eine Studie der WHO. Sünderhauf-Kravets: „Wichtig ist nicht die geografische Stabilität, sondern die emotionale.“

Im Gegensatz dazu ist der Verlust eines Elternteils eine der gravierendsten Folgen der Scheidung. Scheidungskinder aus Residenzfamilien etwa werden häufig Opfer von Mobbing; auch die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist bei diesen Kindern verbreiteter. Hinzu kommt nicht selten der ökonomische Abstieg des alleinerziehenden Elternteils, also meist der Mutter. Und mit der Mehrfachbelastung – Kinder/Haushalt/Beruf – sinkt die Zeit und damit die Aufmerksamkeit, die sie ihrem Kind widmen kann, während Belastung und Stress zunehmen.

Ein Vater: „Mein Sohn hat einen gerichtlich geregelten Umgang mit seinem Vater jedes zweite Wochenende. Doch das wird wiederholt vereitelt, da die Mutter durch die Kinderärztin bestätigen lässt, dass der Sohn krank ist. Dies passiert regelmäßig.“

Es gibt in Deutschland keine statistischen Erhebungen, wie Kinder getrennt lebender Partner betreut werden. Beim Jugendamt erscheinen nur die Fälle, „die mindestens kompliziert, wenn nicht hochstrittig sind“, sagt Frank Schmidt. Schmidt leitet den Bereich Soziale Dienste und Erzieherische Hilfen im Jugendamt. Ungefähr 900 familiengerichtliche Entscheidungen gibt es in Nürnberg pro Jahr.

Wird das Sorgerecht vor Gericht erstritten, ist das „nicht nur ein steiniger Weg, sondern häufig auch ein blutiger“, sagt Familienrechts-Expertin Sünderhauf-Kravets. Verletzt werden dabei vor allem die Kinder, die man in einen Loyalitätskonflikt zwängt. Dabei gibt es niemals nur den bösen Vater und die gute Mutter oder umgekehrt. „Die Frontverläufe“, sagt Schmidt, „gehen in alle Richtungen.“ Richtig hässlich wird es dann, wenn Eltern ihre Kinder instrumentalisieren. Um materielle Interessen zu verfolgen, um sich zu rächen, um Macht über den anderen auszuüben. Dabei hat Bereichsleiter Schmidt eine Beobachtung gemacht: „Mit zunehmendem Bildungsgrad und Wohlstand werden die Konflikte komplexer und komplizierter.“

1187 Beratungen wurden im Jugendamt 2010 durchgeführt, zwei Jahre vorher waren es 1013. Hauptanliegen der 100 Bezirkssozialpädagogen, die in Nürnberg die Beratungsgespräche führen, sei das Wohl des Kindes, sagt Schmidt. Trotzdem: „Uns wird immer vorgeworfen, einseitig Partei zu ergreifen.“ Dabei ist es weder dem Gericht noch dem Jugendamt oder einem Gutachter möglich, es allen Recht zu machen. Das Gericht wird gezwungen, das Hin und Her zu beenden. „Das Urteil eines Richters ist nie so gut wie die gemeinsame Lösung der Eltern“, sagt Stefan Böhler, Verwaltungsamtsrat im Jugendamt.

Ein Vater: „Wieso macht man einerseits Werbung auch seitens der Politik, dass Väter mehr Kinder erziehen, auf Karriere verzichten oder zumindest mehr Erziehungsurlaub nehmen sollen, auf der anderen Seite nimmt man Vätern grundlos die Kinder weg.“

Ganz ohne Anwalt und Richter können sich Eltern nach der Trennung aber auch einvernehmlich auf die Art der Betreuung verständigen – und immer mehr wählen das Wechselmodell. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Kind zu gleichen Teilen bei Papa und Mama lebt oder 60 Prozent beim einen und 40 Prozent beim anderen. Doch weil die gesetzliche Regelung fehlt, kommt es zu Ungerechtigkeiten: Beträgt das Betreuungsverhältnis des Vaters unwesentlich weniger als die Hälfte der Zeit, muss er trotzdem den vollen Unterhalt bezahlen. Sünderhauf-Kravets: „Da gehen Väter natürlich auf die Barrikaden.“

Gegner des Wechselmodells wenden gerne ein, das Modell sei nur praktikabel, wenn die ehemaligen Eheleute einigermaßen vernünftig miteinander umgehen können. Dabei sei es empirisch belegt, dass das Wechselmodell auch fast oder ganz ohne Kommunikation funktionieren kann, entgegnet die Wissenschaftlerin. „Dann findet die Übergabe zum Beispiel nach der Schule statt.“ Und den Kommunikations-Krieg, den gibt es auch im Residenzmodell.

Schulkinder müssen von beiden Elternhäusern aus die Schule erreichen können, das ist Voraussetzung für das Wechselmodell. Welche Entfernung tolerabel ist, ist eine Ermessensfrage, die Eltern beantworten müssen (auch Kinder aus nicht getrennt lebenden Familien müssen weite Wege in Kauf nehmen, wenn sie etwa eine Privatschule besuchen oder auf dem Land leben).

Will ein Elternteil das Wechselmodell boykottieren, muss es zum jetzigen Zeitpunkt einfach nur wegziehen, sagt Hildegund Sünderhauf-Kravets. Sie fordert: Die Rechtsprechung müsste sich dahingehend ändern, dass das Kind in dem Fall in seiner gewohnten Umgebung bleiben kann – wenn es will – und nicht dem wegziehenden Elternteil folgen muss.

Die Trennung der Eltern muss nichtzwangsläufig zum Trauma des Kindes werden – wenn Vater und Mutter es schaffen, den persönlichen Konflikt innerhalb der Paarbeziehung zurückzustellen zugunsten der Elternbeziehung. „Das Sorgerecht“, sagt Böhler, „ist eigentlich eine Sorgepflicht. Ein Recht auf Sorge haben die Kinder.“

Die Gesetzeslage trägt aber dazu bei, dass die Entscheidung des Gerichts immer auf Kosten eines Elternteils – meist des Vaters – geht. „Es kann nicht sein, dass das Veto eines Elternteils darüber bestimmt, ob der andere seine Elternrolle ausleben darf oder nicht“, sagt Hildegund Sünderhauf-Kravets. Das Wechselmodell sollte ihrer Meinung nach als Alternative ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen werden.

Ein Vater: „Die Kinder wurden gezwungen, sich für oder gegen ein Elternteil zu entscheiden, obwohl sie das nie wollten.“

Mehr Infos über das Väternetzwerk sowie Termine im Internet unter www.vaeter-netzwerk.de oder per E-Mail: info@vaeter-netzwerk.de. Hildegund Sünderhauf-Kravets wird voraussichtlich bei der langen Nacht der Wissenschaften am 19. Oktober in der Evangelischen Hochschule einen Vortrag über das Wechselmodell halten.

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