13. Oktober 1963: Sie verschenken Liebe

13.10.2013, 07:00 Uhr
13. Oktober 1963: Sie verschenken Liebe

© Slevogt

Der kleine Saal der Meistersingerhalle gehörte ihnen gestern ganz allein. 162 Pflegemütter, die zehn Jahre lang unentwegt ihre Liebe fremden Kindern schenken, ließen sich einmal öffentlich ehren. An langen, freundlich gedeckten Kaffeetafeln hörten sie nicht nur Dankreden und unterhaltende Musik: sie vernahmen auch, daß zu den vorhandenen 860 Pflegestellen immer noch fast 400 fehlen. So viele Buben und Mädchen suchen also eine Ersatz-Mutti.


Emsige Gespräche, mit Erfahrungen gewürzt, erfüllten den festlichen Raum. Und manche Jubilarin beschloß laut oder im stillen, noch ein weiteres Kind in die familiäre Runde zu nehmen. Für den guten Willen, dem Nächsten zu leben und ihm den Weg ins Leben zu ebnen, dankte Sozialreferent Dr. Max Thoma all den Frauen, von denen die ältesten 70 Lenze zählt.


Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter sprach nicht nur den Pflegemüttern seine Anerkennung aus, er wies auch auf den gemeinnützigen Wert der häuslichen Kindererziehung hin. Dabei ermunterte er besonders alle alleinstehenden oder kinderlosen Nürnbergerinnen, ihre Zuneigung zu den Halb- und Vollwaisen, den gefährdeten oder als „überflüssig“ betrachteten kleinen Leuten auch spürbar zu machen.

Etwa 29 v. H. aller Kinder, die vom Stadtjugendamt in Pflegestellen vermittelt werden, stammen von meist noch jüngeren Frauen, die erwerbstätig sein müssen. Einige von ihnen – dieser „Prozentsatz“ ist allerdings nicht gerade hoch – holen ihre Buben und Mädchen am Freitagabend zu sich und bringen sie am Sonntagabend in das andere Nest zurück.

Gerade aber diesen Müttern, nehmen die fremden Hüterinnen ein großes Paket an Sorgen ab, meinte der OB. Sie dürfen sich besonders glücklich schätzen, daß es in einer materiell ausgerichteten Zeit noch Frauen gäbe, die ohne unbedingt ausreichende materielle Gegenleistung Wärme und Spannkraft verschenkten. Mit einer kleinen Geldgabe, eingepackt in ein Nürnberg-Buch, sollten sich die Jubilarinnen nun selbst einmal eine Freude machen.

„Die Scheine verwende ich aber für meinen Utz“, sagte eine Pflegemutter, „der braucht dringend einen Anorak!“ Auch jene Witwe aus Eibach, die gleich neun Kindern eine Herberge gibt, will für die 50 Mark nichts für sich kaufen. „Und ehe ich von meinen vier, die ich habe, eines hergeben sollte, nehme ich lieber noch fünf dazu!“, erklärt eine Oma mit dem unverkennbaren Mutterantlitz.

Zum Schluß der Feier, in der auch ein Kinderchor der Singschule unter Direktor Ludwig Gebhart und Dirigentin Anneliese Puchner erfreute, meinten die Mütter alle: „Hoffentlich tun´s uns noch viele nach – auch draußen in den Landkreisen, in denen 466 Frauen Nürnberger Kinder hüten!“
Inspektorin des Jugendamtes in der Theresienstraße 7, Frau Irmgard Goller, freut sich über jede Meldung unterm Motto: „Auch ich nehme nun ein Kind zu mir!“                         



 

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