Nur die Kleinsten fremdeln noch nicht

3.7.2013, 00:00 Uhr
Nur die Kleinsten fremdeln noch nicht

© Tanja Toplak

Dr. Karin Becke kennt sie gut, die Sorgen der Eltern, die sich vor allem dann fürchten, wenn ihr Kind im Rahmen einer Operation eine Narkose bekommen soll. Je jünger die Kleinen sind, desto mehr Ängste quälen Mütter und Väter, und die Chefärztin der Abteilung für Anästhesie/Kinderanästhesie an der Cnopf’schen Kinderklinik will diese keinesfalls vom Tisch wischen. Deshalb gibt sie den Anrufern vor allem einen Rat: „Man sollte ein Krankenhaus mit entsprechender Erfahrung wählen. Die Behandlung von Kindern sollte dort keine Ausnahme sein.“

Auch Laien könnten das erkennen, indem sie nach der Qualifikation des Teams und der Zahl der Eingriffe fragen. Auch sei eine spezielle Ausstattung nötig, um schon die Kleinsten in den künstlichen Tiefschlaf zu versetzen. Und bei der Dosierung des Narkosemittels sind die Anästhesisten ganz besonders gefordert, betont die 42-Jährige. Gerade bei Kindern unter einem Jahr sei die Komplikationsrate höher, „deshalb gehört das in die Hand von Experten“. Dann komme es nur sehr selten zu schlimmen Zwischenfällen. „Wenn nötig, machen wir eine Narkose auch bei Frühgeborenen.“

Säuglinge leiden laut Becke immerhin weniger als größere Kinder unter den Begleitumständen des Krankenhausaufenthaltes. „In den ersten Lebensmonaten fremdeln sie ja noch nicht.“ Trotzdem sind die Eltern natürlich so lange dabei, bis die Kinder eingeschlafen sind, und warten an deren Bettchen, wenn sie wieder aufwachen. Das erleichtert auch den Ärzten die Arbeit. „Es sollte von Anfang an so sanft wie möglich laufen“, betont Becke.

Sanft, das kann auch heißen, auf manche Eingriffe zu verzichten. Etwa, wenn es um das Thema zusammengewachsene Zehen geht. Eine Trennung sei da nicht zwingend erforderlich, betont Dr. Annemarie Schraml, Chefärztin in der Kinderorthopädie. Dem besorgten Vater eines sieben Monate alten Buben riet sie abzuwarten, bis sein Sohn laufen kann. „Dann zeigt sich, ob er in Schuhen Probleme bekommt.“ Auch wenn Kinder wegen ihrer Besonderheit gehänselt werden, könne das ein Grund für den Eingriff sein.

Ansonsten rät Schraml eher davon ab, denn es sei eine lange Nachbehandlung nötig. Aus Sicht der 60-Jährigen geht es in der Kinderorthopädie ohnehin darum, normale entwicklungsbedingte Fehlbildungen von krankhaften zu unterscheiden. So verändert sich etwa die Beinstellung im Laufe des Wachstums, wechselt bei vielen vom vermeintlichen O- zum vorübergehenden X-Bein, ohne dass dies einer Behandlung bedarf.

Anderes wiederum sollte aus Sicht der Ärztin besonders frühzeitig korrigiert werden: Klumpfüße entdecken die Mediziner heutzutage häufig schon vor der Geburt des Kindes beim Ultraschall, „da können wir dann schon ein, zwei Tage nach der Geburt mit der Behandlung beginnen“. Ähnliches gilt für Fehlstellungen der Hüfte, die per Ultraschall bei Neugeborenen diagnostiziert werden. Hier sollte die Therapie nach wenigen Wochen beginnen, rät Schraml. „Dann kann man den Kindern große Eingriffe ersparen.“

Zum Messer greifen die Ärzte in solchen Fällen viel seltener. Vor 20 Jahren habe sie noch rund 70 Kinder pro Jahr operiert, sagt Schraml. „Heute sind es höchstens zwei.“ Nicht in jedem Fall sei eine Operation nötig, das sagt auch Prof. Dr. Maximilian Stehr mit Blick auf die sogenannte Hypospadie, eine Verkürzung der Harnröhre bei Jungen.

Schließlich sei kein Eingriff nur Routine, auch wenn es sich um so häu-

fige Operationen wie Leistenbrüche, Hodenhochstände oder Blinddarmentzündungen handelt. „Die Risiken müssen kalkulierbar sein.“ Auch Stehr nimmt deshalb die Sorgen der Eltern sehr ernst, selbst wenn er mit Blick auf die Kinderchirurgie sagen kann, dass schwerwiegende Komplikationen sehr selten sind.

Besonders viele Anrufer suchten den Rat von Dr. Ingo Reimold. Der HNO-Arzt hat eine eigene Praxis, operiert seine kleinen Patienten jedoch in der Cnopf’schen Kinderklinik. Auch in seinem Fachgebiet waren Operationen vor 20 Jahren noch häufiger. Zur Mandel-OP rät er zum Beispiel nur dann, wenn die Patienten unter häufigen Entzündungen leiden, „mindestens dreimal im Jahr“.

Bei der Entfernung von Polypen (eigentlich heißen sie Rachenmandeln) empfiehlt er einen stationären Eingriff, wenn die Kinder jünger als zweieinhalb Jahre sind. Das allerdings wollten die Krankenkassen häufig nicht zahlen, wie der 44-Jährige betont. „Man braucht immer eine Begründung.“ Oft hat er auch mit Paukenergüssen zu tun, bei denen sich Flüssigkeit hinter dem Trommelfell sammelt. Wenn Ärzte dann eine sogenannte T-Tube legen, haben viele Eltern Angst davor, ihre Kinder zu baden. Doch das müssen sie nicht, meint Reimold. „Spritzwasser schadet nicht, nur Tauchen ist tabu.“ Wer im Schwimmbad auf Nummer sicher gehen will, kann die Ohren der Kleinen mit einem speziellen Spritzschutz abdichten.

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