Elegant Abschied nehmen in der Box

22.9.2013, 07:59 Uhr
Elegant Abschied  nehmen in der Box

© Harald Sippel

Trauernde sind sensibel. So kam es, dass die technisch und baulich verwahrloste alte Aussegnungshalle im Westfriedhof als Zumutung empfunden wurde. Noch dazu konnten die Hinterbliebenen wegen der grauenhaften Akustik kaum verstehen, was Pfarrer und Redner über ihre Toten sagten.

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© Harald Sippel

Architektonisch war der symmetrische Prachtbau mit seinen Neobarock- und Neorenaissance-Elementen von 1888 über die Jahre zum Flickwerk geworden. Im Krieg schwer zerstört, waren später immer wieder planlos Grundrisse verändert, Wände eingerissen und Fenster zugemauert worden. Das alte „Secirhaus“ hinter dem ursprünglich als Leichenhalle errichteten, zweiflügeligen Gebäude wurde bereits 1964 abgebrochen. Das Dach, dessen stattliche Kuppel seit dem Krieg fehlt, war schadstoffbelastet.

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© Harald Sippel

Ein ganzer Sack voller Probleme, also was tun? Abtragen und im Freilandmuseum als Beispiel für Unkultur der 60er Jahre ausstellen, empfahl eine Leserbriefschreiberin 2007 erbost. Ihrem Rat zu folgen, wäre voreilig gewesen. Denn nach dem sehr gelungenen Neubau einer kubischen Trauerhalle schräg gegenüber (2010) fand der Nürnberger Architekt Günther Dechant auch für den betagten Problembau einen interessanten Weg.

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© Thomas Dlugosch

Es ist eine Haus-in-Haus-Lösung, die den Denkmalschutz versöhnte — und neue mit alter Substanz dazu. Die Denkmalschützer hatten nämlich die Rückkehr zum alten, x-fach überbauten Grundriss gefordert. So wurden die neuen Räume in die beiden Seitenflügel implantiert, ohne ihnen wehzutun. Es gibt dort nun einen Kondolenzraum und zwei kleinere Abschiedsräume, die in einer schicken, pastellfarbenen Schachtel stecken.

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© Harald Sippel

Ein Kunstkniff, der optisch viel Abstand zur restaurierten Sandsteinhülle hält; im Inneren sind die beiden ausgesprochen intimen Räume, in denen man sich am offenen Sarg verabschieden kann, elliptisch geformt. Erdfarbener sogenannter Zahnspachtelputz schafft eine warme, geborgene Atmosphäre. Draußen Kante, drinnen Rundung, das ist nur kurz irritierend, dann überwiegt das Wohlgefühl. 3,2 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, 770 Quadratmeter Nutzfläche sind entstanden.

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© Sippel

Wer will, kann den Kubus mit dem schmalen Fenster umrunden, der zu schweben scheint. Sowohl die rekonstruierten Deckenkassetten als auch die Unterkanten der Box sind so raffiniert beleuchtet, dass der Einbau zum Leichtgewicht wird.

Ein wandhohes Fresko in erdigen Farben aus den 1950er Jahren zeigt Jesus, der im Kreis seiner Jünger zum Himmel auffährt. Es wirkt hier deplatziert zwischen all der Moderne und ihrer aufpolierten, 125 Jahre alten Hülle.

Für kleinere Feiern mit rund 30 Trauernden gibt es Raum gleich hinter dem Haupteingang, der in der Mitte der offenen Arkade liegt. Eine elegante Betonrampe mit kantigen Edelstahlgeländern führt hinauf. Daneben liegen all die Funktionsräume, die zu Beerdigungen nun einmal dazugehören.

Zum echten Schmuckstück ist die Rückseite der einstigen Halle geworden. Bei Abbau überflüssiger Mauern entdeckte man hier verzierte Säulen aus Gusseisen, die sorgsam restauriert wurden und jetzt vor einer dunklen Glasfront stehen. Fehlende Teile wurden in moderner Formensprache ersetzt. Eine geglückte Symbiose.

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