6. Juli 1962: Erstes "Ja" zum Atomkraftwerk

6.7.2012, 05:59 Uhr
6. Juli 1962: Erstes

© Morath

  Die Frist zur Voranmeldung bei Euratom für das bei Bertoldsheim im Landkreis Neuburg/Donau geplante Werk, die auf den 31. Juli festgesetzt wurde, soll auf keinen Fall versäumt werden. Da es in dieser kurzen Zeit nicht möglich ist, noch einen anderen Standort für ein Atomwerk ausfindig zu machen, hat sich der Wirtschaftsausschuß damit praktisch für den stark umstrittenen Platz bei Bertoldsheim entschieden.

Gleichzeitig hat sich Oberbürgermeister Dr. Urschlechter mit einem Brief an Ministerpräsident Ehard gewandt. In dem Schreiben schildert der Oberbürgermeister noch einmal, warum sich Nürnberg gegen ein Atomwerk in seinem Wassereinzugsgebiet wendet: „Leben und Gesundheit von Millionen Menschen haben uns wichtiger zu sein als Erwägungen wirtschaftlicher und finanzieller Art.“

„Wettlauf mit Italien“

Die Entscheidung des Wirtschaftsausschusses, der europäischen Atombehörde bis zum festgesetzten Termin vom 31. Juli einen Standort in Bayern zu nennen, geht auf eine Anregung des CSU-Abgeordneten Anton Jaumann zurück. Der Abgeordnete sprach von einem „Wettlauf mit Italien“, das an diesem Projekt – es handelt sich um einen 237 000-kW-Siedewasserreaktor – ebenfalls stark interessiert ist und bereits über fertige Pläne verfügt.

Die europäische Atombehörde würde das Projekt aber gern der Bundesrepublik zusprechen, da die Bundesregierung von den Euroatom-Mitgliedsstaaten den höchsten Zuschuß zahlt und Atomkraftwerke nicht selbst baut, sondern privaten Bauträgern überläßt.

Im Ausschuß erklärte Oberregierungsrat Schönhofer vom Wirtschaftsministerium, daß man nach der Meinung von Wissenschaftlern mindestens eineinhalb Jahre brauche, um einen neuen Standort für ein Atomkraftwerk zu finden. Westlich von Bertoldsheim ergäben sich ebenfalls wasserwirtschaftliche Bedenken. Das gleiche gelte für das Donautal bis nach Ulm, das wiederum zur Wasserversorgung Frankens und Württemberg-Badens beiträgt.

„Das ist keine Lappalie“

Der Nürnberger SPD-Abgeordnete Ferdinand Drexler bemängelte „die eigenartige Haltung des Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk (RWE) das das Projekt zusammen mit dem Bayernwerk verwirklichen will. Drexler wies erneut darauf hin, daß die Stadt Nürnberg schon vor eineinhalb Jahren ihr Interesse an einer Grundwasserentnahme im Raum von Bertoldsheim angemeldet hat. Damals sei die Stadt nicht über den geplanten Bau eines Atomkraftwerkes informiert worden. Gleichzeitig gab Oberregierungsrat Schönhofer zu, daß die Regierung das RWE schon im Dezember 1960 auf zu erwartende wasserwirtschaftliche Einsprüche aufmerksam gemacht habe.



Als Drexler ausrief: „Es ist keine Lappalie, wenn es um die Wasserversorgung eines Raumes mit mehr als einer Million Menschen geht“, erwiderte der CSU-Abgeordnete Jaumann, niemand wolle Nürnberg das Wasser nehmen. Man könne aber nicht nach der Methode vorgehen: „Heiliger Florian, verschon mein Haus, zünd´ andere an.“

Dr. Konrad Pöhner (CSU) vertrat die Ansicht, daß Franken mit der Wasserversorgung nicht so schlecht daran sei. Wenn sich das Donau-Projekt zerschlage, müsse Nürnberg sein Wasser aus dem Bodensee entnehmen. Die Abgeordneten Dr. Jochen Klings (GDP) und Peter Zink (SPD) verwiesen darauf, daß die Nürnberger Wasservorräte auch für Fürth und Erlangen von lebenswichtiger Bedeutung sind.

Trotz aller Bedenken und Widerstände glaubt das Wirtschaftsministerium, der europäischen Atombehörde bis zum 31. Juli einen präzisen Vorschlag unterbreiten zu können. Oberregierungsrat Schönhofer meinte zu den Auseinandersetzungen, daß die Öffentlichkeit die wasserwirtschaftlichen Bedenken gegen den Standort Bertholdsheim „vielleicht etwas zu ernst“ nimmt.

Sorge um die Zukunft

Dagegen schreibt Oberbürgermeister Dr. Urschlechter an Dr. Ehard, daß man den Widerstand Nürnbergs nur dann als kleinlich empfinden kann, wenn man die Problematik der Trinkwasserversorgung nicht voll überblickt. „Niemand weiß, was in fünf oder zehn Jahren oder in 50 Jahren ist, eines aber wissen wir, daß sich auch in 50 oder 100 Jahren die natürlichen Trinkwasservorkommen nicht vergrößert haben.“



Auf der anderen Seite wäre es schlecht um den Atomstrom bestellt, so heißt es in dem Brief von Dr. Urschlechter weiter, wenn er auf Wassereinzugsgebiete angewiesen ist. Der Oberbürgermeister hat keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Bau von Atomkraftwerken in Bayern, möchte aber nicht in die Diskussion eingreifen, „ob der Bau eines Atomkraftwerkes nach ausländischem Muster vordringlich ist“.

Dr. Urschlechter weist ausdrücklich darauf hin, daß der Bau eines Kraftwerks im Nürnberger Wasserversorgungsgebiet bei Bertoldsheim nicht nur gegen die Richtlinien des bayerischen Innenministeriums verstößt, sondern auch die Bestimmungen des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern, an denen auch das Bundesgesundheitsministerium festhält, außer acht läßt.

Der Brief schließt: „Das Kernkraftwerk darf auf keinen Fall in das Wasserschutzgebiet kommen; wenn es nicht anders geht, dann muß das Werk hinter die unmittelbaren Lebensinteressen der Bevölkerung zurücktreten.“


Aus den Nürnberger Nachrichten vom 6. Juli 1962

 



 

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