8. Juli 1962: Sorge ums Wasser

8.7.2012, 05:58 Uhr
8. Juli 1962: Sorge ums Wasser

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„Wenn es nicht gelingen sollte, den Bau eines Atomkernkraftwerks in einem seit Jahren als Wassereinzugsgebiet ausgewiesenen Gelände zu verhindern, dann kann man ruhig die gesamte Wasserschutz-Gesetzgebung ad acta legen. Wir sind in Nürnberg durch bindende Vorschriften gehalten, in der Wasserschutzzone den Bau des kleinsten Einfamilienhauses zu untersagen, den Einbau von Öltanks zu verbieten – im letzten „Wasser-Vorhaltegebiet“, das unserer Stadt vom Landesamt für Wasserversorgung zugeteilt worden ist, will man ein Atomkraftwerk errichten!“

Mit mühsam beherrschter Erregung, die aus zahlreichen ähnlichen Formulierungen sprach, umriß der Leiter der Städtischen Werke GmbH, Generaldirektor Professor Dr.-Ing. Josef Ipfelkofer in einer Pressekonferenz nochmals den Standpunkt der Stadtverwaltung zu dem geplanten Bau eines Atomkernkraftwerks in Bertoldsheim an der Donau, auf halbem Wege zwischen Neuburg a. D. und Donauwörth.

Die Empfehlung des Wirtschaftsausschusses des Bayerischen Landtages – das Kraftwerk auf jeden Fall in Bayern zu errichten, rief den verantwortlichen Mann für die Wasserversorgung Nürnbergs nochmals auf den Plan.

Seit 1959 Schutzgebiet

Klar und übersichtlich reihte Dr. Ipfelkofer Argument an Argument. Das Gebiet von Beroldsheim ist schon auf einer „Vorbehaltskarte“ des Bundesministeriums für Atomfragen aus dem Jahr 1959 als Wasserschutzzone eingetragen. Die Stadt Nürnberg wurde schon vor Jahren vom bayerischen Landesamt für Wasserversorgung auf dieses Gebiet hingewiesen. Vor über eineinhalb Jahren hat Nürnberg um Freihaltung gebeten, vor einem Jahr nochmals präzisen Einspruch erhoben, als das Projekt eines Atomkraftwerks an dieser Stelle zum erstenmal auftauchte.

Es liegt auch nicht so, daß Nürnberg dieses Wassereinzugsgebiet irgendwann in ferner Zukunft benötigt. Versuchsbohrungen wurden bereits durchgeführt, die Planung und Trassierung der Rohrleitung ist bereits im Gang und soll bis 1963 abgeschlossen sein, denn spätestens im Jahre 1970 werden im Großraum von Nürnberg die Wassermengen aus dem Donaugebiet gebraucht werden. Das nächste größere Wasser-Einzugsgebiet liegt erst wieder im österreichischen Inntal, in der Gegend von Wörgl.

Der Bezug von Oberflächenwasser aus dem Bodensee – was von Uneingeweihten ebenfalls schon vorgeschlagen wurde – würde mindestens dreimal so teuer kommen, ganz abgesehen davon, daß der Bodensee bereits von Württemberg-Baden angezapft ist und auch immer mehr verschmutzt.

„Notfall berücksichtigen“

Man kann es drehen und wenden, wie man will: es ist einfach nicht zu verantworten, in einem der letzten unersetzlichen Wassereinzugsgebiete ein Atomkraftwerk zu errichten und dadurch die Gesundheit und das Leben von Millionen von Menschen mutwillig aufs Spiel zu setzen. Im normalen Betrieb mag ein solches Werk, so betonte auch Dr. Ipfelkofer, – der gewiß kein grundsätzlicher Gegner von Atomkraftwerken ist und selbst an der Technischen Hochschule in München über Dampfkraftwerke liest – keine Gefahr für die Umgebung und den Untergrund bedeuten.

Man muß aber ständig an unvorhergesehene Ereignisse, an Unfälle, selbst an einen Flugzeugabsturz denken. In einem solchen Fall wäre das Grundwasser für Nürnberg und einen großen Teil von Mittelfranken auf unabsehbare Zeit radioaktiv verseucht. Man versteht eigentlich nicht, wieso es überhaupt zu einer solchen Diskussion und einer solchen Alternative „Atomkraftwerk oder Wasser“ kommen konnte.

Schon eine Verschiebung des Bauplatzes um zehn bis 15 Kilometer nach Osten oder ebensoviel nach Westen würde genügen, das Werk aus dem Grundwasserbereich zu bringen. „Ein Atomkraftwerk braucht kein Trinkwasser“, so stellte Dr. Ipfelkofer fest, „es braucht nur Kühlwasser.“ Er stellte sich eindeutig auf den Standpunkt, den erst vor kurzem auch der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen in der Frage der Wassersanierung eingenommen hat: „Das Leben und die Gesundheit von Menschen sind wichtiger als wirtschaftliche und finanzielle Erwägungen.“

Wenn es um das Wohl und um die Existenz kommender Generationen geht, so darf sich kein einseitiger Interessenten-Standpunkt durchsetzen. Dr. Ipfelkofer schloß mit dem Wunsch, daß es gelingen möge – alle beteiligten Stellen waren gestern bei einer Tagfahrt im Donaugebiet bis Günzburg vertreten – doch noch einen anderen Standort für das Kraftwerk zu finden, der ebenfalls allen Ansprüchen genügt, ohne eine der großen unmittelbaren Lebensfragen für den ganzen Bereich von Mittelfranken zu gefährden. Er ließ aber keinen Zweifel darüber: „Wenn es schließlich doch auf Biegen und Brechen gehen sollte, dann muß man dem Wasserschutz den Vorrang einräumen und das Atomkernkraftwerk einpacken.“

Wenn man den nun seit Monaten tobenden „Gigantenkampf“ um den Standort des Atomkraftwerkes aufmerksam verfolgt hat, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich hinter den öffentlichen Diskussionen noch eine ganze Reihe handfester wirtschaftlicher Interessen verbirgt, die bisher noch kaum angesprochen worden sind. Es gibt zum Beispiel durchaus Atomreaktoren, die kaum Kühlwasser brauchen, jedenfalls nur einen Bruchteil des für Bertoldsheim vorgesehenen Druckwasserreaktors.

In den meisten Fachbüchern der Atom- und Reaktortechnik kann man als besonderen Vorzug der Atomkern-Energie nachlesen, daß die Kraftwerke wegen des Wegfalls von Kohle- oder Öltransporten nun unmittelbar im Verbrauchsschwerpunkt errichtet werden können. Es fragt sich doch sehr, ob man hier nicht einen Reaktortyp gewählt hat und mit allen Mitteln durchzusetzen versucht, der sich in kurzer Zeit schon als veraltet erweisen könnte. Es wäre dann vielleicht tatsächlich besser, notfalls auf die Euratom-Mittel zu verzichten und einen Reaktor zu entwickeln, der nicht unbedingt einen ganzen Strom zur Kühlung benötigt.

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 8. Juli 1962

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