Als Nürnberg noch im Zirndorfer Polenviertel lag

22.4.2015, 06:00 Uhr
Als Nürnberg noch im Zirndorfer Polenviertel lag

© Michael Fischer

Die Stadt Nürnberg liegt in Polen? Was wie ein schlechter Scherz klingt, war um 1900 herum in Zirndorf Realität. Der Zimmermeister Julius Fröbe eröffnete am östlichen Rand der Gemeinde eine Gaststätte namens „Zur Stadt Nürnberg“. Das Viertel zwischen Bachstraße, Angerzeile und Nürnberger Straße war damals unter den Bürgern als „Polen“ bekannt. Warum? Darüber sind sich Klaus Übler und seine Mitstreiter von der Zirndorfer Geschichtswerkstatt im Unklaren.

Seit 25 Jahren forscht der 71-Jährige über die Stadtgeschichte, „angefangen hat alles damit, dass die SPD ihre Historie erkunden wollte“. Aus den Kreisen der Partei formte sich eine Gruppe geschichtsinteressierter Menschen, die ihre Erkenntnisse mittlerweile in zahlreichen Büchern publiziert haben. Das Premierenwerk handelte vom Brauwesen und den zugehörigen Gaststätten an der Bibert – und wurde bereits 1995 zum ersten Mal aufgelegt. Klar, dass sich im Laufe der Jahre viele neue Erkenntnisse ergeben haben.

So zum Beispiel, dass Zirndorf im Jahre 1856 zwar gerade einmal 1750 Einwohner hatte, denen allerdings 17 Wirtschaften gegenüberstanden. Auf 100 Einwohner kam also eine Gaststätte, „die Kinder mit eingerechnet“, erzählt Übler lächelnd, „bei einer solchen Quote gäbe es heute 260 Gaststätten in der Stadt“. Doch dazu sollte es bekanntlich nicht kommen. Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhunderten belegen, dass die Vielzahl an Bierschenken dem Königlichen Bezirksamt Fürth ein Dorn im Auge war. In einer Mitteilung von damals heißt es, „dass eine Minderung der Wirtschaften im öffentlichen Interesse wünschenswert erscheint“.

Auch ausufernde Schlägereien dürften einen gehörigen Teil zu dieser Ansicht beigetragen haben. Unter den Namen „Märzenbock“, „Prominator“ und „Cyrenator“ brachte die Brauerei Starkbier auf den Markt, dessen höherer Alkoholgehalt schnell zum Rausch und zu Streitigkeiten unter den Gästen führte. Nicht selten gab es handfeste Auseinandersetzungen, in deren Folge einige Köpfe „noch in derselben Nacht ärztlich zugeflickt werden mußten“, schrieb seinerzeit die lokale Zeitung.

Jahrzehnte später waren es dann die Nazis, die den Wirten den Schankhahn abdrehen wollten. Dem Traditionshaus „Zur Post“ an der Ecke Fürther Straße/Schulstraße verweigerte der damalige Bürgermeister Julius Eichner die Konzession, weil die Wirtin bekennende Sozialdemokratin war „und agitatorisch für die SPD aufgetreten“ sei. Die Angst der Faschisten: das Gasthaus als Sammelbecken für politische Gegner.

Zudem beklagte die Regierung wieder die Vielzahl an Wirtschaften, die der Kur- und angedachten Garnisonsstadt nicht entsprechen würden. Das Veto blieb – und erst nach Kriegsende kehrte wieder Leben in die Räume ein, die fortan den Namen „Zum Neuen Rathaus“ trugen. Heute ist das Bier im Gebäude Fahrrädern gewichen.

Manche Geschichten reichen allerdings bis in die Gegenwart. Der Stammtisch in der Gaststätte „Zum tapferen Bayern“ in der Volkhardtstraße brachte am Steg über die Bibert ein Schild zu Ehren seines Präsidenten an. Die „Georg-Schneider-Brücke“ gibt es heute noch, manch einer hält sie gar für eine offizielle Bezeichnung. Ganz im Gegensatz zum „Polenviertel“. Klaus Übler wird weiter forschen, bis auch dieses Geheimnis gelüftet ist.

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