Als Nürnberg Zentrum der Lkw-Industrie war

18.5.2018, 19:12 Uhr
Lastwagen und Zugmaschinen der Fahrzeugfabriken Ansbach und Nürnberg (Faun) gehörten bis in die 1970er-Jahre zum täglichen Straßenbild in Deutschland.

© Martin Regner Lastwagen und Zugmaschinen der Fahrzeugfabriken Ansbach und Nürnberg (Faun) gehörten bis in die 1970er-Jahre zum täglichen Straßenbild in Deutschland.

Klar, die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg mit dem heute noch allgegenwärtigen Kürzel MAN kennt jeder. Doch es gab auch noch einen zweiten großen deutschen Nutzfahrzeughersteller, der Nürnberg in seinem Firmennamen verewigt hat: Faun. Diese Abkürzung hat  wenig mit dem gleichnamigen Waldgeist aus der altrömischen Mythologie zu tun, sondern  mehr mit der Fusion der "Nürnberger Feuerlöschgeräte-, Automobillastwagen- und Fahrzeugfabrik Karl Schmidt" und der "Fahrzeugfabrik Ansbach" im Jahre 1918. Die gemeinsamen "Fahrzeugfabriken Ansbach und Nürnberg" (Faun) stellten von Anfang an Lastkraftwagen her.

Schon bald prägten Spezialfahrzeuge das Angebot des Unternehmens, etwa Kehrmaschinen und Müllwagen für kommunale Fuhrparks. Angesiedelt war die Nürnberger Fabrik im Stadtteil Wöhrd zwischen Bauvereinstraße, Waechterstraße und Fabrikstraße (die heute Georg-Strobel-Straße heißt). Durch Bombenangriffe wurde das Werk 1943 komplett zerstört. Weil das Unternehmen in der NS-Zeit Rüstungsgüter für die Wehrmacht lieferte, galt es als kriegswichtiges Ziel für die alliierten Bomber. 

Die Produktion wurde wegen der Zerstörungen zuerst in ein behelfsmäßiges Zweigwerk in der Höfener Straße im Stadtteil Doos und dann auf ein neues Gelände zwischen den Ortschaften Lauf an der Pegnitz und Neunkirchen am Sand verlagert. Den Standort in Wöhrd gab Faun nach dem Ende des Krieges auf; dort stehen heute Wohnhäuser. 

Das aus der Not heraus eingerichtete Zweigwerk in Doos blieb bis 1968 erhalten. Dort entstanden Blechteile für Lkw-Fahrerhäuser, Motorhauben und Kraftstofftanks. Der Motorprüfstand und das Ersatzteillager waren ebenfalls dort untergebracht.

Erfolgreich in der Nische

Auf individuelle Kundenwünsche ausgerichtete Spezialfahrzeuge wie Schwerlastzugmaschinen, Kranwagen, Muldenkipper für Steinbrüche, Feuerwehrfahrzeuge für Flughäfen sowie Kommunalfahrzeuge bildeten die Nische, in der Faun neben den zum Teil viel größeren Herstellern Büssing, Henschel, Krupp, Magirus-Deutz, MAN und Mercedes-Benz am Markt bestehen konnte. Aber auch "Standardware" stand in den Preislisten, von Allradkippern mit langer Motorhaube für den Einsatz auf Baustellen bis zu Fernverkehrs-Lkw in Frontlenker-Bauweise für die Autobahn.

Woran es allerdings Ende der 1960er mangelte, war Erfolg auf dem Markt: Genau wie nahezu zur selben Zeit Henschel, Büssing und Krupp gab Faun seine Lkw-Produktion zwischen 1968 und 1971 schrittweise auf. Einen Hauptfaktor dafür sehen Nutzfahrzeug-Historiker rückblickend darin, dass das Händler- und Werkstättennetz im Vergleich zu den damaligen Konkurrenten zu dünn war. Das Werk bei Lauf und Neunkirchen existiert allerdings bis heute: Es  gehört  zum japanischen Tadano-Konzern, der dort Autokräne baut.

Die Wiege aller MAN-Lkw liegt in Arbon auf der schweizerischen Seite des Bodensees. Die 1898 aus dem Zusammenschluss zweier Maschinenbauunternehmen in Augsburg und Nürnberg entstandene Firma MAN wollte zu Beginn des Ersten Weltkriegs in den Lkw-Markt einsteigen, scheute allerdings die Mühe, eigene Lastwagenmodelle zu entwickeln. Mit dem Hersteller Saurer aus der Schweiz einigte man sich auf eine Lizenzproduktion von Saurer-Lkw in Deutschland. Diese begann 1915 in Lindau am Bodensee, zog aber schon von Ende 1915 bis Anfang 1916 vollständig in die Nürnberger MAN-Fabrik um. 

Dort belegte der Lastwagenbau vier Hallen auf dem Werksgelände. Gemessen an heutigen Maßstäben waren die Produktionszahlen aber noch sehr bescheiden: Aus den Hallen rollten nach dem Ersten Weltkrieg nur 30 bis 40 Nutzfahrzeuge im Monat. 1921 endete die Kooperation mit Sauer, in der Folgezeit konstruierten die MAN-Ingenieure eigene Modelle und Motoren: Anno 1925 hatte das Unternehmen seinen ersten eigenen Lastwagen marktreif.

Während des Zweiten Weltkriegs stellte das Nürnberger MAN-Werk — genau wie die meisten anderen Fahrzeughersteller in jener düsteren Zeit — auf Rüstungsproduktion um: Neben Lastern und Omnibussen für die Wehrmacht baute MAN damals auch Panzer. 1942 kam die Lastwagen-Produktion zum Erliegen. Alliierte Luftangriffe zerstörten das Werksgelände im Oktober 1944 zu 70 bis 80 Prozent und Ende April 1945 besetzten amerikanische Truppen die Fabrik. Aber schon im Juli 1945 begann der Wiederaufbau und die Produktion ziviler Lastwagen nahm erneut Fahrt auf.

Im Jahre 1955 kam das Ende

Auf der Frankfurter IAA des Jahres 1951 präsentierte das Nürnberger Unternehmen sein neuestes Flaggschiff: Den Fernverkehrs-Typ F8, der mit seiner wuchtigen Haube und dem steil aufragenden Kühlergrill besonders imposant wirkte. Mitte der 1950er, das Wirtschaftswunder rollte und es wurden immer mehr Lastwagen benötigt, stieß das Nürnberger Werk an seine Kapazitätsgrenze. In der Chefetage fiel damals der Entschluss, die Lkw-Produktion nach München-Allach zu verlagern. Dort hatte MAN dem Autobauer BMW, der damals dringend liquide Mittel benötigte, eine ehemalige Flugmotorenfabrik abgekauft. 

Der letzte Nürnberger MAN lief am 18. November 1955 vom Band, geschmückt mit Schleifen und handschriftlichen Grüßen der Belegschaft. Damit endete eine 40jährige Ära. Seitdem produziert das Nürnberger MAN-Werk vor Allem Motoren

Zu den unbekanntesten Kapiteln der Nürnberger Wirtschaftsgeschichte gehört, dass neben Faun und MAN auch der Essener Krupp-Konzern einst in der Noris Lastwagen gebaut hat: Im Kriegsjahr 1943 wurden die Essener Krupp-Werke als Ziel alliierter Bombenangriffe weitgehend zerstört. Infolgedessen verlegte der Konzern seine anno 1919 begonnene Lastwagenproduktion nach Mühlhausen im Elsass. Bereits 1944 befahl die nationalsozialistische Regierung in Anbetracht der an der Westfront vorrückenden Kriegsgegner eine erneute Verlagerung. Es sollte ins Landesinnere des Deutschen Reichs gehen, nach Franken. 

Die Lkw-Produktion wurde dort auf die drei Städte Kulmbach, Bamberg und Nürnberg verteilt. In Kulmbach bezog der Krupp-Motorenbau ein ehemaliges Brauereigebäude; die Fertigmontage der Lkw fand in Nürnberg statt. Damit einher ging ab 1944 ein neuer Markenname: "Südwerke", mit je einem großen S und W im Markenzeichen. 

Rasche Rückverlagerung nach Essen

Wo genau die Südwerke in Nürnberg Unterschlupf fanden, geht aus der Fachliteratur nicht hervor. Darin ist nur von zwei angemieteten Hallen die Rede. Aufklärung verschafft jedoch eine dünne Akte des Kriegsschädenamts der Stadt Nürnberg im Stadtarchiv: Die Südwerke stellten mehrmals einen "Antrag auf Entschädigung nach der Kriegssachschädenverordnung". Auf schon stark vergilbten Schriftstücken ist von zwei Adressen die Rede: Der Geisseestraße 61/63 und der Elisenstraße 4. Diese liegen auf gleicher Höhe nördlich und südlich der heutigen S-Bahn-Station Schweinau.

Als der Zweite Weltkrieg 1945 zu Ende war, übernahmen die Amerikaner die Kontrolle über die drei fränkischen Werke des Krupp-Konzerns. Firmenchef Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wurde verhaftet und bei den Nürnberger Prozessen verurteilt. Dennoch konnte die Lkw-Fertigung der Südwerke in Nürnberg im Februar 1946 wieder aufgenommen werden. 

Im Oktober 1950 begann Krupp, die Südwerke wieder an den angestammten Standort in Essen zu verlagern. Das heute legendäre und bei Sammlern gesuchte Modell "Titan" wurde nach Angaben des historischen Krupp-Archivs jedoch mindestens noch bis März 1951 in Nürnberg gefertigt. Im Juli 1951 war der Umzug nach Essen abgeschlossen und 1954 verschwand der Name Südwerke wieder von der Bildfläche. Bis zur Einstellung der bis dahin unrentabel gewordenen Lkw-Produktion im Jahr 1968 lautete der Markenname wieder Krupp.

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