Am Horn stand der wahre König

6.1.2019, 18:43 Uhr

Ein bunter Strauß von Sträußen? Chefdirigent Kahchun Wong hat es nicht so mit der Blumenpacht und reicht das florale Dankeschön zum Konzertende stets gleich weiter an eine Musikerin im Orchester. Auch der Einstieg mit Oscar Straus und seiner Ouvertüre "Rund um die Liebe" lässt Ungutes befürchten. Zu seiner Entstehungszeit eine Erfolgsoperette, wird es hier breiig und uninspiriert exekutiert: Nervös beginnt man im Programmheft die Stücke der Strauss-Dynastie zu zählen, die einem an diesem Abend noch bevorstehen.

Doch dann kommt das Klangwunder: Mit Richard Strauss’ "Don Juan" werden die Symphoniker wach. 1889 in Weimar uraufgeführt, fand der junge Komponist mit 24 Jahren in dieser sinfonischen Dichtung zu seiner eigenen Klangsprache. Das ist eine spätromantische Herausforderung für den Mahlerspezialisten Wong, die er sich nicht entgehen lässt.

Don Juan selbst wäre heute in einer Welt der #MeToo-Debatte chancenlos, aber seine Vita forderte neben vielen weiteren Dichtern und Komponisten auch Nikolaus Lenau heraus, dessen Dichtung wiederum Strauss als Vorlage diente. Auch hier geht es inhaltlich wie musikalisch leidenschaftlich zu Sache, doch die Dämonie und das Draufgängertum eines Don Giovanni weichen hier eher einer existentiellen "ennui", einer Langweile am Leben: Dann stirbt man halt eben.

Was für eine Lebenskraft!

Einen ganz anderen Lebenswillen zeigt da Felix Klieser. Der 1991 geborene Niedersachse ist ohne Arme auf die Welt gekommen. Gleichwohl begeisterte er sich bereits im Vorschulalter für das Horn und brachte es trotz dieser enormen Schwerbehinderung zur Konzertreife. Das Spiel der Finger übernehmen bei ihm die Zehen des linken Fußes, die er wie ein Schlangenmensch zum Instrument führt. Das wiederum steht auf einem Ständer
vor ihm. In seinem Buch mit dem
Titel "Fußnoten" hat Klieser seinen unglaublichen Werdegang selbst beschrieben.

Das Ergebnis ist einfach stupend. Sein Ton ist von vollendeter Schönheit, und auch die technischen Schwierigkeiten meistert er mit einer unglaublichen Virtuosität. Nur zur Einordnung: Der Vater von Richard Strauss, seines Zeichens erster Hornist an der Münchner Oper, wollte die Uraufführung nicht spielen, weil ihm das Stück als zu schwierig erschien. Hier in Nürnberg passte an diesem Abend alles, und wer bei den ruhigen Kantilenen, die Strauss in den Mittelteil seines Hornkonzertes legt, nicht innerlich weint, hat sowieso kein Herz.

Eigentlich hätte man jetzt getrost nach Hause gehen können, doch das Publikum in der nahezu ausverkauften Meistersingerhalle will natürlich die Walzer- und Polka-Könige Wiens hören. Im Vergleich zum Eingangsstück präsentieren die Nürnberger
die Ouvertüre zur "Fledermaus" in einer durchaus akzeptablen Spielart. Danach folgten aus der generationenübergreifenden Musikschmiede Strauß eine Polka hier und Galopp da, alles ordentlich gespielt, aber der Funke zum Publikum wollte einfach nicht überspringen.

Bei Johann Strauß’ "Variationen zum Karneval von Venedig", die den Solisten sehr viel, dem Dirigenten sehr wenig Arbeit machen, marschierte Wong während des Stückes durchs Orchester und beschenkte jeden nach seinem hochvirtuosen Solo mit einem Überraschungsschenk, das er aus seinem Sakko zauberte. Das sorgt wenigstens für ein Schmunzeln in den Zuschauerreihen.

Ein Marsch und zwei Polkas, dann war das Konzert auch schon beendet. War’s das schon? Denn jetzt kamen natürlich noch die obligatorischen Zugaben und spätestens beim Radetzky-Marsch waren alle zufrieden. Prosit Neujahr.

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