Bratwurst, Schäufele und die „beste Tellersülze“

23.10.2016, 08:02 Uhr
Bratwurst, Schäufele und die „beste Tellersülze“

Zugegeben, meine Aussage ist ziemlich verwegen, und auch Herbert, der Fahrradhändler meines Vertrauens, hört sie ungläubig: „Ich habe im Arsch mehr sensible Nervenstränge als andere im Kopf!“

Was führt mich zu einer solchen, doch recht anmaßenden Einschätzung meines zentralen Nervensystems? Der Standard-Fahrradsessel ist mir zu hart erschienen, weshalb ich auf den „Erika-Sessel“ gewechselt habe. Erst beim dritten Anlauf haben „Doktor Herbert“ und sein Assistent Julian die Lösung für mein sitzendes Problem gefunden: Der „Fuxon“ hat eine geradezu heilende Wirkung, denn meine über Wochen anhaltenden Muskelschmerzen im Hinterteil sind auf wundersame Weise verschwunden.

Ich behaupte einmal (die Aussage ist schulmedizinisch nicht abgesichert), dass mich das Gomez-Syndrom verfolgt hatte, von dem in der Sportzeitung zu lesen war. „Neurogene Verhärtung der Gesäßmuskulatur“ heißt die Diagnose. Was Tabletten und etliche Massagen nicht bewirken konnten, das ist Herbert gelungen. Was wiederum beweist, dass ein Fahrradhändler, der Sättel verkauft, ein Heilsbringer sein kann.

Nun will ich aber zur 40 Kilometer langen Tour von Ornbau über Weidenbach, Triesdorf, Merkendorf, Waizendorf, Wolframs-Eschenbach, Adelmannsdorf, Mitteleschenbach, Muhr und zum Ausgangspunkt Ornbau kommen. Gefühlt kommt sie mir viel länger vor. Der Ausgangspunkt, das Rathaus, macht auf mich keinen einladenden Eindruck: Der Eingang ist für ein Amtshaus nicht repräsentativ, und die Rückseite ist einfach nur hässliche Waschbetonarchitektur. Dass Ornbau seit vielen Wochen Baustelle ist und es somit auch für Radler kein Durchkommen gibt, das will ich der Stadt nicht ankreiden, sondern mit der Erwartung verbinden, nach Fertigstellung aller Pflasterarbeiten wirklich ein Kleinod vorzufinden.

Enttäuschender Besuch

Für den Gast, der Durst und Hunger mit nach Ornbau bringt, ist der Besuch enttäuschend, denn es gibt außer einer reinen Bierkneipe keine Gastwirtschaft mehr, die diesen Namen verdient. Mir fällt die „Radl-Scheune“ und ihr origineller Ausleger auf. Ich komme an der super stylischen Repräsentanz von „Sand-Türen“ vorbei und nähere mich trotz fehlender 8er-Beschilderung Weidenbach, das mich mit einem faszinierenden Kontrast begrüßt: Hinter der breiten Glasfassade der seit 16 Jahren agierenden Firma Aprovis (100 Mitarbeiter befassen sich mit der Projektierung und Konstruktion von Abgaswärmenutzung von Blockheizkraftwerken) baut sich die mächtige Markgrafenkirche auf.

Der Anblick macht mich happy, denn ich finde, hier äußert sich nicht nur die Innovationskraft eines jungen Unternehmens, sondern eben auch ein modernes Sinnbild von Heimat. In Weidenbach stoße ich übrigens das erste Mal auf das grüne 8er-Schildchen, und ich nehme das moderne Beschilderungskonzept der Gemeinde zur Kenntnis, das einem Hochschulstandort zur Ehre gereicht. Station Hauptstraße: Der Gesell ist Meister und über das Dorf hinaus bekannt für seine besonders gut gewürzten Bratwürste, die zum wiederholten Mal ihre positive Wirkung auf mich nicht verfehlen.

Triesdorf ist bekanntlich ein Ableger der Hochschule Weihenstephan. Es hat rund 3000 Studierende an der FH und den anderen landwirtschaftlichen Bildungseinrichtungen des Bezirks Mittelfranken. Die Kreisackerbauschule von einst ist längst zu einem attraktiven landwirtschaftlichen Bildungszentrum geworden, das ein gutes internationales Renommee hat. Als Radler kommst du bei der Fahrt durch die Hauptstraße gar nicht mehr aus dem Staunen heraus.

Die Gebäude der Fachhochschule mit ihren supermodernen Architekturen stechen ins Auge, wobei natürlich nicht jeder die Fassade des innerörtlichen Studentenwohnheims als passend empfindet. Zum Ensemble gehört auch die ehemalige Gastwirtschaft „Goldener Adler“ mit ihrer Markgrafenarchitektur, die derzeit saniert und weiterhin als „Mensateria“ genutzt wird.

Der einmaligen Platanenallee entlang (die dicksten Stämme haben einen Umfang von drei Metern) sehe ich links den Lehrgarten für Obstbau (hier werden alte fränkische Apfelsorten rekultiviert) und das „Café Waldeck“, bevor ich unvermittelt am Tor von „Alpha Stones“, einem Werk des Natursteinunternehmers Werner Roll, stehe. Ich muss mich erst einmal sortieren und entdecke dann doch noch das rettende 8er-Schild, das mich zum Bahnhof Triesdorf geleitet.

Auf dem Bahnhofsgebäude ist der Name kaum mehr zu entziffern, dafür ist der Umgriff schön gestaltet. Als Radler unterquere ich die Bahnlinie und komme auf der anderen Seite durch das Gewerbegebiet. Links rauscht im Feierabendverkehr auf der B 13 ein Auto am anderen vorbei.

Das Übersetzen in Merkendorf ist ampelgesteuert. Der Weg durch das Städtchen bringt mich zum Naturfreibad, das die Stadt mit großem Aufwand sanieren will. Dann gibt es hoffentlich nicht mehr die grüne Algenbrühe zu sehen, die mich veranlasst, umzukehren und die Bammersdorfer Straße entlang nach Waizendorf zu strampeln. Die Markierung könnte besser sein, auch die Schilder sind vielfach „patiniert“. Aber ich habe ja mein Pflegeset dabei. Es macht mir nichts aus, immer wieder vom Sattel zu steigen und die Täfelchen zu putzen.

Am Landschaftsweiher (mit handgeschriebenem Badeverbot für Hunde) vergnügt sich offenbar die Dorfjugend, die hier auch ihren 27,14 Meter hohen Kerwabaum platziert hat, den in luftiger Höhe zwei Bierkästen schmücken. Links entkommen meine Augen nicht einer stattlichen Biogasanlage, rechts will sich mein Blick nicht mit einem Haus im Toskanastil anfreunden. Den Landschaftsrahmen vor den Toren Wolframs-Eschenbachs hat die Entwicklungsgesellschaft Hesselberg aufgestellt. 20 gibt es davon in der Region. Sie machen den Blick frei auf markante Landschaftsbilder.

„Die beste Tellersülze“

„Ein wenig verrückt ist völlig normal“: Ein handgeschriebenes Schildchen an einem vom Verfall bedrohten Häuschen will mich trösten. Die Steine werden vom wilden Wein zusammengehalten. Als ich durch das Wolframstädtchen fahre, warnen mich meine Magennerven, „die beste Tellersülze von allen“ nicht rechts liegen zu lassen. Über Adelmannsdorf führt mich der Weg – streckenweise auf dem „Stilla-Weg“, der 42 Kilometer von Wolframs-Eschenbach nach Abenberg führt — nach Mitteleschenbach, wo mir am Ortseingang die neuen Einfamilienhäuser auffallen, für deren Eigentümer die Grundstückspreise offenbar nur nachrangige Bedeutung haben.

Die Friedhofskirche St. Walburg präsentiert sich verhüllt. Auffallend viele Menschen sind unterwegs, um die Gräber auf dem Friedhof zu richten. Originell erscheint mir die Aufschrift „Wirtshaus zum Peterla“, in dem Carolin und Klaus Leng einmal im Monat einen „Genussabend“ anbieten. Nach dem „Reitstall Mönchswald“ am Ortsende in Richtung Haundorf biege ich nach rechts ab in den tiefen Mönchswald, wo meine helfenden Hände die Hinweisschilder auf die Mitteleschenbacher und Selgenstädter Gastronomie lesbar machen. Insgeheim denke ich mir: Vielleicht trägt dir soviel Edelmut irgendwann einmal einen Schoppen ein!

Ein kleines Naturschauspiel verfolge ich, als ich eine Formation von mir unbekannten Pilzen fotografiere, die auf dem Schotterweg wachsen. Ein großer dunkler Käfer schiebt sich durch den Splitt und versucht, an die Oberfläche zu kommen. Ich habe keine Ahnung von dessen Zeitplan und kann daher nicht abwarten, bis er den hellen Tag begrüßt. Frisch geschlagenes Stammholz verströmt auf der Weiterfahrt einen Geruch, der mich als „Haundorfer Holzkatz“ einfach fasziniert.

Über die „Drei Buchen“ geht die Waldtrasse weiter bis Muhr am See. Dort „enttarnt“ mich schildchenreinigend die Rathauslady Sabine. Toll finde ich es, dass am AIZ eine E-Bike-Ladestation den Radlern Service bietet. Hier geht das Laden viermal so schnell wie mit meiner Home-Station. An der Nesselbachbrücke vermisse ich den Hinweis auf den rechts abbiegenden 8er.

Der sonnige, aber dennoch frische Herbsttag führt mich am Altmühlsee entlang nach Gern, wo ich am vielfach gelobten Kiosk von den herabfallenden Kastanien regelrecht attackiert werde. Samstag- und Sonntagmittag, so lehrt mich ein Schildchen, gibt es dort gebratene Schäufele. Ich muss ehrlich gestehen: Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, weil sich die knusprige Kruste vor meinem geistigen Auge aufbaut. Somit hat mich Ornbau, der Ausgangspunkt, wieder.

Wie gesagt, gefühlsmäßig waren es mehr als die angekündigten 40 Kilometer. Ich empfehle daher, die Tour in zwei Etappen zu machen.

 

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