Der weite Weg zur Barrierefreiheit

13.12.2014, 21:00 Uhr
Im Landratsamt in Zirndorf hat ein Gehörloser Probleme ein Auto anzumelden.

© Hans-Joachim Winckler Im Landratsamt in Zirndorf hat ein Gehörloser Probleme ein Auto anzumelden.

Vor der Landtagswahl im Herbst 2013 hat Horst Seehofer versprochen, Bayerns öffentlicher Raum soll komplett barrierefrei werden. Was sagen Sie dazu?

Stephan Beck: Das ist nie zu schaffen. Froh wäre ich, würden wir bis 2023 das Thema mehr in die Köpfe bringen und da denke ich nicht nur an Politiker, die den öffentliche Raum zu verantworten haben, sondern an alle Menschen. Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Zwischenzeitlich ist der Freistaat zurückgerudert: Zuständig fühlt er sich nur für den staatlichen Bereich.

Beck: Und das ist ein sehr eingegrenzter. Doch auch auf kommunaler Ebene ist überall, wo öffentliche Gelder ins Spiel kommen, zu prüfen, ob eine Maßnahme Behinderten gerecht wird. Trotzdem gibt es prominente Negativbeispiele, etwa das Finanzamt Fürth: Ein nagelneuer Bau, doch der Briefkasten ist nur über Treppen zu erreichen. Ein Positivbeispiel ist das Landwirtschaftsamt Fürth, da hat meine Stellungnahme Gehör gefunden. Es bietet Mobilitätseingeschränkten freien Zugang.

Wo hakt es im Landkreis Fürth generell?

Beck: Darüber könnte ich stundenlang reden. Das beginnt beim Aufzug, der einem Blinden überhaupt nichts bringt, wenn er nicht ansagt, wo er hält. Und das geht weiter bei Kirchweihen, die dort üblichen Toilettenwagen gibt‘s nicht ohne Stufen. Der Anteil Hörbehinderter steigt rasant, wir werden immer älter. Doch Induktionsanlagen, auf deren Frequenz Betroffene ihr Hörgerät einstellen können, so dass sie alles, was ins Mikro gesprochen wird, verfolgen können, sind immer noch die Ausnahme. Und es endet in der Zulassungsstelle. Was macht ein Gehörloser, will er sein Auto anmelden? Da bleibt zur Verständigung nur Zettel und Stift. Dabei gibt es längst PC-Programme, die das gesprochene Wort mit minimaler Zeitverzögerung in Schriftsprache übersetzen.

Stellt sich aber doch die Frage der Verhältnismäßigkeit, finden Sie nicht?

Beck: Sicher kann man da fragen, braucht‘s das, wenn übers Jahr fünf Gehörlose in die Zulassungsstelle kommen? Aber Rechtsgrundlage ist die UN-Behindertenkonvention, die der Bund 2009 unterzeichnet hat, womit er sich verpflichtete, allen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Wenn wir Inklusion wollen, müssen wir auch Geld in die Hand nehmen.

Etwa 12 600 Menschen mit Behinderung leben im Landkreis Fürth. Wie ist der Beratungsbedarf?

Beck: Enorm, mit steigender Tendenz. Fragt jemand an, kann es etwas dauern, bis ich reagiere, weil ich zeitlich an meine Grenzen stoße. Der Freistaat Bayern als mein Arbeitgeber hat mich einen Tag von meinem Beruf als Hauptvertrauensperson für Menschen mit Behinderung in der obersten Baubehörde freigestellt, aber unter 20 Stunden in der Woche für den Landkreis komme ich nicht hin.

Es fehlt Ihnen hinten und vorne an Zeit, hat Ihr Amt dann nicht nur Alibifunktion?

Beck: Ich versuche, es mit Leben auszufüllen, aber es ist schwierig, weil mir auch das Netzwerk fehlt. Behindertenvertretungen auf kommunaler Ebene gibt es nicht. Aber mir ist die Aufgabe eine Herzensangelegenheit, weil ich sehe, dass ich wirklich helfen kann.

Wie können Sie helfen?

Beck: In der Regel gebe ich Einzelfallberatung, sage den Menschen, wohin sie sich in ihrem speziellen Fall wenden müssen. Es kann sein, dass mit dem sogenannten Euroschlüssel, der Zugang zu allen öffentlichen Behindertentoiletten bietet, schon viel geholfen ist. Aber das geht auch bis ans Existenzielle, etwa wenn Schlaganfallpatienten fragen, wie es beruflich weitergehen kann.

Und was sagen Sie denen?

Beck: Sie haben Anspruch auf sechs Wochen Lohnfortzahlung, anschießend auf maximal 72 Wochen Krankengeld. Wer dann nicht auf dem Damm ist, um wieder zu arbeiten, dem droht der freie Fall nach unten, ist er nicht rechtzeitig aktiv geworden. Menschen, die Jahrzehnte gearbeitet haben, werden krank und stehen dann vor dem Nichts: Solche Fälle sind mein täglich Brot. Unser System ist nur gut, solange man gesund ist.

Der öffentliche Personennahverkehr ist für die Selbstständigkeit und Mobilität von behinderten Menschen besonders wichtig, wie ist diesbezüglich Ihre Diagnose zum Bahnnetz im Landkreis?

Beck: Da sieht es miserabel aus. Die Bahnfahrt nach Fürth endet für behinderte Fahrgäste der Zenngrund- oder Rangaubahn am Bahnsteig in Fürth. Der Aufzug am S-Bahn-Halt-Anwanden lässt Jahre auf sich warten. Oder Langenzenn: Da muss die Kundschaft über lose Granitplatten und Schotter zum Gleis gehen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Im Landkreis bereiten wir derzeit eine Petition für „barrierefreie Bahnhöfe“ vor. Bei der Unterschriftenaktion dafür hoffen wir auf viel Unterstützung aus der Bevölkerung.

Stephan Beck ist unter Tel. (09 11) 97 73 17 05 oder E-Mail unter behindertenbeauftragter@
lra-fue.bayern.de zu erreichen.

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