"Deutschland hat seine Arbeitslosigkeit exportiert"

25.11.2018, 23:28 Uhr

© F.: Christian Charisius/dpa

Herr Flassbeck, haben Sie zuletzt wieder ein wenig die Hoffnung in die SPD zurückgewonnen?

Heiner Flassbeck: Eigentlich nicht. Warum denn?

Frau Nahles will sich von Hartz IV verabschieden, Finanzminister Olaf Scholz hält einen Mindestlohn von zwölf Euro für angemessen. Klingt das nicht nach einem Ende der von Ihnen seit langem kritisierten Sparpolitik und Lohnzurückhaltung?

Flassbeck: Die SPD hat begriffen, dass sie so nicht weitermachen kann, aber ob sie auch begriffen hat, wie fundamental sie sich ändern muss, weil die Politik seit Anfang der 2000er Jahre falsch war, das bezweifle ich.

Aber hat die mit der Gewerkschaft damals vereinbarte Lohnzurückhaltung nicht tatsächlich den Abbau der Massenarbeitslosigkeit erleichtert?

Flassbeck: Ja, das hat sie, aber dummerweise auf Kosten anderer Länder. Deutschland steht zwar gut da im Verhältnis etwa zu Italien und Frankreich, aber diese Länder sind leider am Ende. Deutschland hat seine Arbeitslosigkeit zu einem erheblichen Teil exportiert. Und zwar, weil es die Währungsunion gab. Ohne die hätte man die D-Mark nach zwei, drei Jahren aufgewertet, der ganze Spuk wäre vorbei gewesen, und niemand würde heute darüber reden, dass der Schröder was Großes zustandegebracht hat.

Sie sehen Deutschland nicht nur in der EU als Problemverursacher, sondern halten es auch global nicht für einen Stabilitätsfaktor.

Flassbeck: Wer riesige Überschüsse hat, ist nun mal kein Stabilisierer, sondern ein riesiger Störfaktor. Man sieht das an Trumps richtigem Reflex. Im Oktober hat der Currency Report des US-Finanzministeriums ganz klar analysiert, dass Deutschland doppelt unterbewertet ist. Das räumt im Übrigen sogar Herr Sinn ein. Deutschland ist im Euro unterbewertet, und der Euro selbst ist auch unterbewertet wegen Deutschland.

Das heißt, Trumps Strafzölle sind nachvollziehbare Notwehr?

Flassbeck: Sie nennen das Strafzölle. Wenn Europa sie erhebt, dann nennen wir sie immer Schutzzölle. Ja, diese Zölle sind zu einem gewissen Teil gerechtfertigt. Obwohl ich überhaupt nichts davon halte, es auf diesem bilateralen Weg zu machen, mal mit den Chinesen, mal mit den Deutschen, das ist völliger Käse. Aber Trump hat den richtigen Reflex, wenn er sagt: Wer kann uns dauernd zwingen, Defizite zu machen, und die Deutschen und die Chinesen machen sich einen schlanken Fuß? Wobei die Chinesen das eigentlich gar nicht machen, weil die haben nur bilateral mit den USA einen großen Überschuss. International ist deren Überschuss – gemessen an der Größe des Landes – wesentlich kleiner als der deutsche.

Was wäre eine klügere Reaktion als Schutzzölle?

Flassbeck: Für Trump wäre es viel besser, eine Politik des schwachen Dollars zu betreiben, die US-Währung schwach zu machen oder schwach zu reden – da gibt es ja viele Möglichkeiten. Dann gibt es nur das kleine beziehungsweise große Problem, dass der Rest Europas immer mit Deutschland mitleidet. Deutschland allein ist eben nicht zu treffen.

Sie haben lange als Chefökonom der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, Unctad, gearbeitet. Ist Ihnen da der Glaube abhanden gekommen, dass internationale Vereinbarungen zur Einhegung des globalen Freihandels möglich sind?

Flassbeck: Die hätte ich gerne gehabt, ich habe daran gearbeitet. Unctad und viele andere Institutionen haben es versucht, nur es ist nicht gelungen.

Warum nicht?

Flassbeck: Das große Problem ist schon, dass wir zwar von Freihandel reden, dass es diesen Handel, den irgendwelche Ökonomen vor 250 Jahren mal gemeint hatten, der frei und effizient sein könnte, gar nicht gibt auf der Welt. Das ist eine Illusion. Einfach schon aus dem Grund, dass wir kein Währungssystem international haben. Wir haben marktbestimmte Wechselkurse, die dazu führen, dass es völlig verrückte Bewegungen und ein Auf und Ab der Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften gibt. Dazu kommen Direktinvestitionen etwa von Hochtechnologie in Entwicklungsländern wie China. Das ist auch ein vollkommener Widerspruch zur Idee des internationalen Handels.

Sie setzen in Ihrem neuen Buch auf die Ordnungsmacht des Nationalstaats. Das klingt für einen Linken überraschend.

Flassbeck: Man braucht immer den Nationalstaat als die einzige Quelle der Demokratie. Ich hätte ja nichts gegen einen Globalstaat. Aber es spricht nichts dafür, dass der bevorsteht. Ich habe mich 15 Jahre dafür engagiert, wenigstens Global Governence – also multilaterale Regeln für die Globalisierung – herzustellen. Das ist grandios gescheitert, weil die Länder es systematisch ablehnen. Globalstaat oder ein europäischer Staat, das sind alles nur Träume. Man braucht deshalb handlungsfähige Nationalstaaten, die aber kooperieren müssen und für diese Kooperation auch noch vernünftige Ideen haben müssen.

Die nicht in Sicht sind?

Flassbeck: Der Neoliberalismus zumindest hat uns leider nichts geliefert, was zu einer vernünftigen Kooperation führen könnte. Diese absurden marktbestimmten Währungsrelationen beispielsweise, die sind vollkommen schiefgegangen. Man will das aber nicht wahrhaben,.

Ist nachfrageorientierter Keynesianismus, dessen Vertreter Sie sind, vereinbar mit Ideen einer ressourcenschonenden, ökologischen Ökonomie?

Flassbeck:(lacht) Ja, natürlich, weil er damit nämlich gar nichts zu tun hat. Zum einen bin ich kein Vertreter eines platten Keynesianismus. Aber geschenkt. Es gibt keinen Keynesianismus mehr, weil wir eine Situation haben, in der die Unternehmen fast überall in der Welt Sparer geworden sind. Und bei nur noch sparenden Unternehmen gibt es keinen Keynesianismus. Denn das war ja die Idee, dass genau dann, wenn die Unternehmen mal nicht investieren, sich nicht verschulden, dass dann der Staat einsteigen sollte.

Aber das fordern Sie ja immer noch.

Flassbeck: Aber man kann doch nicht mehr von Keynesianismus sprechen, wenn sich die Staaten immer verschulden müssen, weil alle anderen sparen. Wenn sich der Staat in einer solchen Situation nicht verschuldet, kann man es nur aufs Ausland schieben. Das ist die deutsche Lösung. Aber das kann nicht funktionieren.

Und was wird aus der Ökologie?

Flassbeck: Für die Umweltprobleme und zur Umsteuerung der Entwicklung in diesem Bereich muss man immer Lösungen finden, egal, welches makroökonomische Dogma man vertritt. Das hat mit Keynesianismus überhaupt nichts zu tun. Aber eine nicht fossile Wirtschaftswachstums-Strategie einzuschlagen, dazu hat ja auch niemand den Mut. Da muss man die Preise erhöhen, muss den Leuten sagen, dass es so nicht mehr weitergeht. Und man muss zugleich umverteilen. Denn das sieht man ja in Frankreich gerade, dass die Leute mit geringem Einkommen auf die Barrikaden gehen, wenn die Preise erhöht werden und den Leuten keine Kompensation dafür angeboten wird.

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