"Die Sehnsucht der Menschen nach Intimität nimmt zu"

13.2.2019, 19:34 Uhr

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Herr Pogorelich, Sie beginnen Ihr Recital mit Mozart — frei nach dem Motto "das Schwerste zuerst"?

Ivo Pogorelich:(lacht) So kann man das natürlich sehen. Was Mozart so unheimlich schwierig macht, ist, dass er so leicht klingen muss. Wobei leicht ein schwieriger Begriff ist. Im Englischen meint etwa "simple" eher schlicht, was nicht nobel bedeutet. Aber das gleiche Wort "simple" kann im Englischen eben auch nobel bedeuten im Sinne von unkompliziert. Wobei die Kunst eben darin besteht, komplizierte Dinge einfach darzustellen. Genau das macht Mozart eben so schwer.

In Nürnberg werden Sie in einer Halle mit über 2000 Sitzplätzen spielen. Ist das der Rahmen, den ein doch eher intimes Klavierprogramm vertragen kann?

Pogorelich: Nicht wirklich. Aber wir müssen uns einfach der Tatsache stellen, dass diese Riesenhallen in den 60er und 70er Jahren entstanden sind, weil damals die klassische Musik ihren höchsten Popularitätsgrad erreichte. Was zum Beispiel an so einem Phänomen wie Herbert von Karajan lag, der klassische Musik in das Fernsehen brachte. Und so wurden die Hallen eben größer und größer. Heutzutage müssen wir damit umgehen. Ja, die Meistersingerhalle ist wirklich sehr groß, aber sie hat eine gute Akustik, weil sie nämlich genug hölzerne Reflektionszonen hat. Das erzeugt auch eine gute Atmosphäre für das Publikum. Holz hat die Eigenschaft, die Menschen zu einen und zu entspannen. Das können sie sofort merken, wenn sie in einem reinen Saal aus Beton und Kunststoff sitzen. Der ist nicht nur ungemütlicher, sondern schafft auch eine unruhigere Atmosphäre. Mittlerweile baut man wieder kleinere Säle, weil man sich bewusst ist, dass sie mehr Teilnahme ermöglichen. Wir müssen uns klar machen: Die Menschen sind so überfüttert mit Nachrichten aus Displays, Screens und Monitoren, dass sie eine gewisse Sehnsucht nach Intimität und echter Nähe haben. Gott sei Dank ist der Trend, nur noch per SMS, Twitter, Instagram oder Mail zu kommunizieren, allmählich wieder auf dem Rückmarsch.

Man sagt Ihnen nach, dass Sie es mit den Notenwerten recht freizügig nehmen. Wie sklavisch sollten sich Ihrer Meinung nach Interpreten an das Original halten?

Pogorelich: Das ist eine Frage des Lesens. Wir beide können in eine Bibliothek gehen und beide das gleiche Buch ausleihen. Sie werden aus diesem Buch herauslesen, was für Sie wichtig ist, und ich etwas ganz anderes, das wiederum für mich wichtig ist. Wie man die Noten liest und interpretiert, hat mit Vorbildung zu tun, auch mit instrumentaler Kraft, aber vor allem mit der Vorbereitung durch die Schule. Einige von uns hatten das Glück, bereits in unserer Kindheit von anderen Musikern geprägt worden zu sein und Wissen vermittelt bekommen zu haben. Die Frage des Lesens des Notenmaterials ist eine Frage der Interpretation, die für heute gilt und nicht in der Vergangenheit. Es gibt eben Menschen, die lassen sich mehr Freiheit, und andere gehen eben rationaler und historischer an die Sachen heran.

Seit zwanzig Jahren machen Sie keine CD-Einspielungen mehr. Warum?

Pogorelich: Das ist eine gute Frage, weil ich gerade eine Einspielung mit Werken von Beethoven und Rachmaninow plane, die bald herauskommen wird. Einerseits bin ich zwar interessiert an der Sammlung von Wissen, andererseits aber auch am Fortschritt. Ich wollte sowohl musikalisch als auch technisch weiterkommen. Deshalb war es mir wichtig, die Fähigkeiten meines Klavierspiels zu erweitern. Ich habe also eine Zeitlang gebraucht, um wieder neue Erfahrungen zu sammeln und jetzt ist es wieder an der Zeit, neue Einspielungen zu machen. Ich habe mit neun Jahren mein erstes Konzert gegeben und mit 22 meine Karriere begonnen. Ich glaube, ich habe früher als andere den Zeitpunkt erreicht, an dem ich mich wieder neu für das Konzertieren, Reisen und die Aufnahmen justieren musste. Und diese Neuaufstellung brauchte viel Zeit.

Sie sind Kroate und sind vor 15 Monaten erstmals wieder in Ihrer Geburtsstadt Belgrad aufgetreten. Was war das für ein Gefühl?

Pogorelich: Das war berührend, weil ich in der gleichen Halle auftrat, wo ich einen meiner allerersten öffentlichen Auftritte hatte. Natürlich kamen die Erinnerungen zurück. Andererseits waren da so viele junge Leute, die mein Spiel noch nie erlebt hatten, was ein Zeichen des Generationswechsels ist. Aber alles in allem, war der Empfang überaus warm und eine schöne Erfahrung für mich.

Sie haben sich sehr engagiert für den Wiederaufbau Ihres Landes nach dem Krieg in den 90er Jahren und etliche soziale Projekte angestoßen und unterstützt. Hat in Ihren Augen Kroatien seither eine gute Entwicklung genommen?

Pogorelich: Das kann ich eigentlich schwer beurteilen, denn ich lebe in der Schweiz doch ein gutes Stück von Kroatien entfernt. Also fehlt es mir einfach an Kompetenz, das richtig einzuschätzen. Andererseits denke ich, dass es auch nicht meine Aufgabe als Künstler sein kann, politische Statements abzugeben, die den einen gefallen werden und den anderen nicht. Meine Hauptaufgabe bleibt die Kunst, was nicht bedeutet, dass ich nicht gerne sozialen Verpflichtungen nachkomme. So habe ich mich bei der Wiedererrichtung des Festival-Gebäudes in Dubrovnik sehr engagiert. Es war im Krieg völlig zerstört worden. Leider sind dabei auch wertvolle Schriften wie etwa Briefe von Benjamin Britten verbrannt. Mittlerweile konnte zumindest der Saal wieder hergestellt werden. Wir, die wir erlebt haben, wie es vor dem Krieg war, haben eine gewisse Verantwortung, dieses Wissen auch an die Generationen nach uns zu geben. Das habe ich getan und zwar mit sehr viel Freude.

ZKartenreservierung unter Telefon 09 11 / 55 80 03.

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