Die Tendenz zeigt: „Im Handwerk brummt’s“

13.8.2014, 07:59 Uhr
Die Tendenz zeigt: „Im Handwerk brummt’s“

© Foto: Colourbox.de

Die Tendenz zeigt: „Im Handwerk brummt’s“

Herr Dr. Forster, beginnen wir mit einem Gedankenexperiment: Was passiert, wenn es von einem Tag auf den anderen keine Handwerker mehr gibt in der Stadt?

Die Tendenz zeigt: „Im Handwerk brummt’s“

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Forster: Dann bricht die Welt zusammen.

Einfach so?

Forster: Ja, weil das praktische tägliche Leben nicht mehr funktioniert. Angefangen beim warmen Wasser in der Dusche über die Semmel zum Frühstück bis zur Fahrt ins Büro. Die U-Bahn verkehrt nur, wenn die Elektro-Installation reibungslos funktioniert – dafür braucht man hoch spezialisierte Handwerker. Man kann das beliebig weiterspinnen.

Warum braucht es dann die Image-Kampagnen?

Forster: Weil wir mehr Nachwuchs bräuchten, als wir kriegen. Nicht jeder denkt ans Handwerk, wenn er seine berufliche Zukunft plant. Dabei hat sich vieles komplett geändert: Der Sanitärinstallateur, der früher mit Hanf, Zange und Dreiviertel-Zollrohr auskam, kennt sich heute mit speicherprogrammierbaren Heizungen und der Fernwartung per Computer aus.

In Nürnberg scheint die Lage rosig. In der letzten Umfrage der Handwerkskammer zur wirtschaftlichen Lage hat die Hälfte der 2000 befragten Betriebe ihre Lage als gut bezeichnet, 40 Prozent nennt sie befriedigend . . .

Forster: Wenn ein Handwerker schon mal „gut“ oder „passd scho“ sagt und wenn Sie dann noch das fränkische Understatement einbeziehen, dann wissen Sie: Es brummt.

Zusammen mit der Stadt hat die Handwerkskammer ein Strategiepapier „Zukunft. Handwerk. Nürnberg“ aufgelegt. Ist das überhaupt nötig?

Forster: Es gibt nichts, was nicht noch besser werden kann. Ich denke zum Beispiel an den bürokratischen Aufwand, der für eine Sondernutzungserlaubnis nötig war. Der Handwerker, der an einer Baustelle öffentliche Flächen für sein Auto oder ein Gerüst benützt, musste persönlich bei der Stadtverwaltung erscheinen und den Antrag abgeben, zwei bis vier Wochen auf die Bewilligung warten und dann wieder persönlich erscheinen, um die Papiere abzuholen und die Gebühr zu bezahlen. Nach anderthalb Jahren ist es uns jetzt gelungen, dass dieser Antrag übers Internet gestellt werden kann.

Im Strategiepapier sind Gewerbehöfe ein zentraler Punkt.

Forster: Betriebe, die sich selbstständig machen, suchen kleinere Flächen und zwar zu bezahlbaren Preisen. In der Vergangenheit haben sich viele im Speckgürtel rund um Nürnberg angesiedelt, aber wir möchten sie in der Stadt halten. Gewerbehöfe, wo man 500 bis 3000 Quadratmeter vorübergehend mieten kann, wären ideal.

Von den Nürnberger Betrieben haben sich in einer Umfrage nur 17,3 Prozent dafür interessiert.

Forster: Bei aktuell 6250 Betrieben sind das immerhin über 1000! Und diejenigen, die bereits abgewandert sind, konnten gar nicht befragt werden.

Aber liegt es Handwerkern überhaupt, sich zusammenzuschließen?

Forster: Der Handwerker ist ein Individualist – im positiven wie im problematischen Sinn. Er will seine eigene Firma aufziehen. Das hat sich in der Krise 2008/2009 als Stärke erwiesen: Er kann, zumindest als Inhaber eines kleinen Betriebes, allein entscheiden und sich schneller dem Markt und seinen Erfordernissen anpassen. Und er ist interessiert, seine Leute zu halten.

Zwei Drittel aller Nürnberger Handwerksbetriebe haben nur ein bis vier Beschäftigte . . .

Forster: Die Spanne reicht vom Ein-Mann-Schuhmacher bis zum Betrieb mit mehreren Tausend Mitarbeitern zum Beispiel bei den Gebäudereinigern. Mit Fensterputzen hat das heute nicht mehr viel zu tun, da werden auch OP-Säle gereinigt und komplette Catering-Dienstleistungen angeboten, auch Sicherheitsdienst und Objektschutz gehören dazu.

Wünschen Sie sich manchmal die Zünfte zurück, die das Leben der Handwerker von der Lehre bis zur Bahre geordnet haben?

Forster: Natürlich nicht! Aber halbwegs „geordnete“ Verhältnisse würden wir uns nicht zuletzt für den Verbraucher wünschen. Da denke ich an den großen Befähigungsnachweis, den Meister, der aktuell in der EU wieder in der Diskussion steht. 2004 haben wir 54 Meisterberufe verloren. Im Fliesenlegerhandwerk hatten wir damals 254 Meisterbetriebe in Mittelfranken, heute sind es 1500 Betriebe. Wir wissen und können es auch nachweisen, dass die Qualität nachgelassen hat. Die Sachverständigen haben mehr Arbeit als je zuvor wegen nicht sachgerecht ausgeführter Arbeit.

Deshalb werden Handwerker oft verflucht. Zu Recht?

Forster: Es gibt in allen Bereichen der Gesellschaft schwarze Schafe. Aber die sind in der Minderheit und wir versuchen seit Jahrzehnten, Qualität und Arbeitsweise zu verbessern und thematisieren das auch in Meistervorbereitungskursen. Erst kürzlich hat sich Lucius Hemmer, der Intendant der Nürnberger Symphoniker, für eine Empfehlung bei mir bedankt. Es laufe top mit diesem Handwerker, er kommt pünktlich und hinterlässt die Baustelle sauber. Bedenken Sie: Die Betriebe stehen im Wettbewerb, schlechtes Benehmen und schlechte Arbeit sprechen sich herum. So kann kein Betrieb auf Dauer erfolgreich sein.

Sprechen wir lieber über gute Qualität. Hat das Handwerk noch den sprichwörtlichen goldenen Boden?

Forster: Derjenige, der heute eine qualifizierte Ausbildung im Handwerk macht, wird vielleicht nicht den goldenen – aber einen sehr sicheren Boden haben. Viele arbeiten zehn oder 20 Jahre beim gleichen Betrieb oder machen sich selbstständig. Nur in absolut seltenen Fällen wird man im Handwerk arbeitslos.

Dafür verdienen die Beschäftigen deutlich weniger als in der Industrie, oder?

Forster: Der Baulehrling verdient bereits im zweiten Lehrjahr über 1000 Euro, das ist gar nicht wenig. Für einen jungen Menschen ist ein Job, der ihm liegt und seinen Talenten entspricht, viel motivierender. In einer Umfrage des Deutschen Handwerksinstituts unter Jugendlichen stand an erster Stelle der menschliche Umgang und an zweiter erst die berufliche Perspektive, beides bietet das Handwerk.

Das Handwerk hat immer noch den Ruf, dass die Arbeit schwer und schmutzig ist und man früh aufstehen muss. Müssen wir umdenken?

Forster: Dass man im Bauhandwerk Zementsäcke schleppen muss, das finden Sie praktisch nicht mehr. Aber der Bäcker muss immer noch um drei Uhr früh aufstehen. Ich kenne aber auch Gesellen und Meister, die haben in der Automobilindustrie gearbeitet und sind ins Handwerk zurückgekommen, weil sie nicht ein Leben lang die linke vordere Tür montieren wollten. Im Handwerk können und müssen sie individuell arbeiten.

Eins der größten Probleme ist der Fachkräftemangel. In Nürnberg meldet jeder dritte Handwerksbetrieb Personalbedarf an, besonders gefragt sind Gesellen. In ganz Mittelfranken aber sinkt die Zahl der Azubis im Handwerk seit fünf Jahren kontinuierlich, Nürnberg zählt in diesem Jahr gerade 1200 Neuzugänge. Zwei Drittel sind Hauptschüler, nicht einmal sechs Prozent haben Abitur.

Forster: Stimmt, da ist noch Potenzial. Wir wollen ein Modell aus Unterfranken übernehmen, wonach Studienabbrecher sich im Handwerk in drei Jahren ihren Meisterbrief erarbeiten können und gezielt auf Führungsaufgaben in leistungsfähigen Betrieben vorbereitet werden.

Verbraucher müssen 50 bis 70 Euro die Stunde zahlen, wenn sie einen Handwerker bestellen. Woran liegt’s?

Forster: Da müssen Sie sich an diejenigen Institutionen wenden, die für zusätzliche gesetzliche Auflagen und die Steuererhebung zuständig sind. Beispiel Energiekosten: 2006 hat eine Metzgerei mit fünf Filialen 9000 Euro für die Erneuerbare-Energien-Umlage gezahlt, 2014 zahlt sie 42 000 Euro. Deshalb kann der Metzger nicht drei Euro für die Leberkäs-Semmel verlangen. In die Kalkulation fließen Personal, Versicherungen, Werbung und nicht zuletzt die Mehrwertsteuer ein. Das trifft uns selbst: Ein Geselle muss sechs Stunden arbeiten, damit er sich die eigene Stunde leisten kann. Da kann doch etwas nicht stimmen.

Die Preise müssten also sinken. Werden sie es tun?

Forster: Im Gegenteil. Durch die Demografie wird das Angebot knapper – wir haben zu wenige Lehrlinge – und die Nachfrage nach individuellen Leistungen steigt. Es gibt mehr ältere Bürger, gerade sie wollen möglichst in den eigenen vier Wänden bleiben. Und was macht der Rentner, wenn er nicht mehr auf die Leiter steigen kann, um die Dachrinne zu säubern? Er holt einen Handwerker. In dieser Generation ist Geld im Umlauf. Ein Betrieb, der eine vernünftige „Nachwuchspolitik“ betrieben hat und sich um seine Fachkräfte kümmert, wird in Zukunft eine gute bis sehr gute Ertragslage haben.

 

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