Eine (nicht) ganz normale Torwart-Karriere

24.2.2009, 00:00 Uhr
Eine (nicht) ganz normale Torwart-Karriere

Lange Haare haben seit Woodstock als weibliches Alleinstellungsmerkmal ausgedient, insofern irritiert der Pferdeschwanz, der unterm Helm hervorspitzt, kaum. Den schwungvollen «Jenny»-Schriftzug auf dem Kopfschutz registriert man ebenfalls nur am Rande – modebewusste Sportler tragen die Namen ihrer Lebensabschnittsgefährtin überall am Körper, warum also nicht auch dort? Doch der Torhüter, der am Wochenende, sehr zum Leidwesen des abstiegsbedrohten Bayernligisten EHC 80, so bravourös den Pfrontener Kasten bewachte, ist – eine Frau.

Auch wenn Woodstock fast ein halbes Jahrhundert her ist und mittlerweile selbst die Skischanzen von weiblichen Adlern bevölkert werden – dass Jennifer Harß beim EV Pfronten in einem Männerteam am regulären Ligenbetrieb teilnimmt, ist (noch) nicht Alltag. Zumindest ist sie nicht allein, Nationalmannschafts-Kollegin Viona Harrer kämpft mit Erding sogar um den Aufstieg.

Bequemer Platz

Jennifer Harß (Bild: Michael Matejka) wiederum wirkt fast ein wenig erstaunt, dass sie in dieser Spielzeit so gefragt ist und bereits einige Interviews geben musste. Wer in Füssen geboren wurde, kann doch gar nicht anders, als irgendwann mit Puck und Schläger übers Eis zu rutschen. Und dass sie, wie sie grinsend einräumt, aus lauter Bequemlichkeit im Tor blieb («damals wollte ich nicht so viel laufen») – auch das unterscheidet sie nicht wirklich von vielen männlichen Kollegen.

Während sie es von klein auf gewohnt war, mangels eigener Mädchenteams bei den Jungs mitzuspielen, sind umgekehrt die Jungs heute nicht immer mit der Situation vertraut. Aber, glaubt EHC-Trainer Fritz Ondrich, das voluminöse Equipment, das ein Eishockey-Torwart mit sich herumschleppt, lässt schnell vergessen, wer da im Kasten steht. Und so führt er die beiden Niederlagen auch nicht auf gewisse Schusshemmungen bei den Nürnbergern zurück, sondern schlicht darauf, «dass die Jenny Harß schon sehr gut ist, wir haben uns trotz Chancen sehr schwer getan». Auch er hätte sofort zugegriffen bei einer Torhüterin dieser Qualität, sagt er, «denn dann ist es egal, ob jemand alt oder jung, Mann oder Frau ist – da geht es nur um die Leistung.»

In Pfronten ist Harß die klare Nummer eins, eine Hierarchie, die ihre Kollegen Sven Rampf und Olli Weißenberger akzeptieren. Die 21-Jährige wiederum ist froh, Spielpraxis sammeln zu können, denn im Frauen-Eishockey bieten sich nicht allzu viele Gelegenheiten. Neun Vereine kämpfen aktuell in der Bundesliga, die 1988 vom Deutschen Eishockey-Bund aus der Taufe gehoben wurde, um den Titel. Harß‘ Klub, der ECDC Memmingen, findet sich im Mittelfeld auf Rang vier. Bundesliga klingt zwar schick und professionell, doch das Gros der Spielerinnen verdient nichts, im Gegenteil, manche zahlen sogar noch drauf, indem sie zum Beispiel die Fahrtkosten begleichen. Jennifer Harß hat es da ein bisschen besser, eine College-Mannschaft aus den USA würde die Nationaltorhüterin gerne verpflichten und lockt mit einem entsprechenden Stipendium.

Von dort wäre es nicht weit nach Vancouver, wo in einem Jahr die Olympischen Spiele stattfinden. In Kanada, wo kleine Kinder auf Schlittschuhen das Laufen lernen! Natürlich wollte auch Harß unbedingt dort spielen, doch die deutsche Frauen-Nationalmannschaft verpasste die Qualifikation und die bayerische Torhüterin ihre zweiten Olympischen Spiele. 2006 durfte sie in Turin auflaufen, ein Erlebnis, das sie so gern wiederholen wollte. Doch in diesem Jahr steht im April in Österreich zunächst der Wiederaufstieg in die A-Gruppe auf dem Programm, langfristig hat die 21-Jährige, die an einer Fernuniversität International Management studiert, die Spiele 2014 im russischen Sotschi im Blick.

Bis dahin wird sie noch über einige Gesichter diesen ungläubig-fragenden Ausdruck huschen sehen: Kann sie tatsächlich mithalten bei den Männern? Sie kann, gegen den EHC hielt sie unter anderem einen Penalty. Und irgendwann wird auch der letzte Fan auf den Rängen kapiert haben, dass «der Ausziehen, Ausziehen»-Witz selbst beim Altmänner-Fasching nicht mehr als Schenkelklopfer taugt. Auch die unvermeidliche Frage, wie sich denn das Umzieh- und Duschproblem in manchen kleinen Stadien lösen lässt, beantwortet Jennifer Harß mittlerweile nicht mehr ganz so ungezwungen. Klar hat sie Vortritt beim Duschen.

Spürt sie eigentlich auf dem Eis, ob ihre Pfrontener Vorderleute aus ritterlichen Anwandlungen heraus den Gegner ein bisschen energischer als üblich aus dem Weg räumen? Die junge Frau überlegt kurz, na ja, «sie passen schon gut auf mich auf», sagt sie – aber das würden sie bei jedem anderen auch machen. Wohl wahr. Ein Eishockey-Torwart hat immer fünf Freunde auf dem Eis. Ob nun ein Zopf unterm Helm hervorlugt oder nicht.