Heißt das jetzt "Urban Winzing"?

26.10.2017, 09:00 Uhr
Heißt das jetzt

© Eduard Weigert

Der Verrückte heißt Patrik Fritz und ist passionierter Weintrinker und -sammler. "Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht mit Wein beschäftige, zumindest literarisch", sagt der 37-Jährige. Die Idee zum eigenen Weinberg – übrigens der Einzige innerhalb der Stadtmauern – kam dem Lehrer, als er die triste Brachfläche vor seinem Küchenfenster am Ölberg nicht mehr ertragen konnte. "Ich dachte mir: Wie schön wäre es, wenn ich zum Essen den eigenen Wein reichen könnte!" Doch so einfach geht das in Deutschland nicht, ohne Erlaubnis, und Fritz sprach einige Sör-Mitarbeiter auf der Straße an. Die gaben ihm den Tipp, sich als Pflanzbeetpate an die Stadt Nürnberg zu wenden.

Das Prozedere gestaltete sich unkompliziert, schließlich bietet die Stadt bereits seit 1983 derartige Patenschaften an – kostenlos, unbefristet und jederzeit kündbar. Derzeit sind rund 100 Pflanzbeet- und etwa 900 Baumpaten in Nürnberg aktiv. Die Gestaltung des Beetes ist dabei jedem selbst überlassen, nur bei Fritz gab es wegen des Denkmalschutzes die Auflage, einen Meter entfernt von der alten Burgmauer zu pflanzen.

Der frischgebackene Winzer entschied sich bei seinem etwa 40 Quadratmeter großen Beet für "gemischten Satz", eine historische Variante des Weinanbaus, wie sie vom 8. bis ins 19. Jahrhundert üblich war. Unter den sechs verschiedenen Rebsorten befinden sich alte fränkische Sorten wie Gewürztraminer, Adelfränkische und Blauer Silvaner. Die Vorteile: Falls eine Rebsorte krank werden sollte, hat er nicht, wie bei einer Monokultur, einen Komplettausfall zu beklagen. "Außerdem sind die Weine vom gemischten Satz, die ich aus renommierten Weinlagen verkostet habe, komplexer als diese Fruchtbomben, die nur aus einer Rebsorte bestehen. Sie haben mehr Tiefe und Aromen, die auch der Kenner nicht sofort aufschließen kann."

Seit dem Pflanztag im Juni gedeihen die 45 Rebstöcke prächtig. Bisher hatte Fritz erst zweimal mit Mehltau zu kämpfen, den er mit einem Hausmittel aus Backpulver, Wasser und Handseife besiegte. "Ich will den Wein so minimalinvasiv wie möglich halten und keine chemischen Mittel verwenden." Bis der 37-Jährige tatsächlich den eigenen Wein zum Essen reichen kann, müssen er und seine Freunde sich noch gedulden – falls er denn überhaupt schmeckt. "Die Lage hat nicht den ganzen Tag Sonne. Ich muss mit der Lese wahrscheinlich bis weit in den Oktober warten, das wird ein Drahtseilakt." Vor hohen Säurewerten fürchtet sich der Stadtwinzer allerdings nicht. "Ich finde, Säure macht den Wein lebendig."

Auf insgesamt 60 Flaschen à 0,5 Liter hofft Fritz im Jahr 2020. Wer sein Schicksal verfolgen möchte: Die Facebook-Seite namens "Clos Noris" gibt es bereits, ein Blog ist in Planung. Und wenn es so weit ist, soll es auch nicht an der Ästhetik mangeln: Eine befreundete Künstlerin hat sich angeboten, Labels zu designen – individuell für jede Flasche.

Mehr Informationen in unserer Rubrik Essen und Trinken!

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