Fachtagung: Flüchtlinge könnten Arbeitsmarkt-Lücke schließen

25.11.2015, 14:57 Uhr
Fachtagung: Flüchtlinge könnten Arbeitsmarkt-Lücke schließen

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Bereits in fünf Jahren fehlten im Freistaat 230 000 Arbeitskräfte, rechnete Wägemann vor, 160 000 mit beruflichem, 50 000 mit Hochschul-abschluss. Und bis zum Jahr 2040 wird die Lage vollends dramatisch: Die Lücke liege dann bei mehr als einer halben Million Menschen, „vor allem aus den Bereichen Medizin, Pflege, Handwerk und technische Dienstleistungen“, so Wägemann.

Zahlen, die Ute Ernst nur bestätigen kann. „Die Zahl der offenen Stellen im Landkreis ist seit 2008 deutlich gestiegen“, sagt die Teamleiterin des Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit in Weißenburg. Aktuell gebe es 734 offene Stellen; denen stünden zwar 1432 gemeldete Arbeitslose gegenüber, aber das seien häufig Ältere, Menschen ohne Ausbildung, Teilzeitkräfte oder Langzeitarbeitslose. „Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen“, beschreibt sie das Dilemma. Denn für die meisten Tätigkeiten seien nun mal Spezialkenntnisse notwendig: „Selbst ein Helfer muss inzwischen einen Computer bedienen können.“ Außerdem brauche man häufig einen Führerschein und die Bereitschaft, Schicht zu arbeiten.

Dem Problem könne man auf verschiedene Arten begegnen: Zuvorderst natürlich mit verstärkter Ausbildung; derzeit seien freilich viele Lehrstellen unbesetzt, weil junge Menschen immer stärker auf Gymnasien und in Hochschulen drängten. Man könne Beschäftigte weiterqualifizieren, Firmen könnten mehr Wert auf Mitarbeiterbindung legen, und man könne versuchen, brachliegende Potenziale im Inland zu heben: Ältere, Langzeitarbeitslose, Behinderte, Berufsrückkehrer. Und man könne versuchen, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen: aus der EU, aus Drittstaaten – und Flüchtlinge.

Hilfe für Arbeitgeber

Firmen, die einen dieser Wege beschreiten wollten, stehe die Arbeitsagentur mit einer ganzen Reihe von Angeboten – darunter auch Qualifizierungsangebote und Zuschüsse – zur Seite. Denn vor allem in Sachen Nicht-EU-Bürger und Flüchtlinge sei das Prozedere durchaus kompliziert. Auch die Handwerkskammer, die Industrie- und Handelskammer (IHK) und die Zukunftsinitiative Altmühlfranken (ZIA), die beim Landratsamt angesiedelt ist, stünden bereit, um Arbeitgebern die Akquise ausländischer Mitarbeiter zu erleichtern. Ebenso wie private Agenturen, die davon leben, Unternehmen passgenau mit dringend benötigten Fachkräften zu versorgen.

Ein Schlüsselbegriff, der an diesem Abend in der Gunzenhäuser Stadthalle, zu dem etwa 25 Firmenvertreter erschienen waren, immer wieder fiel, war „Willkommenskultur“. „Mit der Arbeitsvermittlung alleine ist es nicht getan“, warnte etwa ZIA-Leiterin Kathrin Kimmich, „da muss man dranbleiben.“ Eine 1:1-Betreuung der ausländischen Mitarbeiter sei für sie „absolut unabdingbar“. Und auch Wolfgang Pendelin, Personalchef bei Bosch in Gunzenhausen, betonte, wie wichtig es sei, solche Beschäftigte intensiv zu unterstützen: „Willkommenskultur endet nicht um 17 Uhr.“

Einig waren sich alle Fachleute, dass der Erwerb von Sprachkenntnissen der Schlüssel zu allem sei. „Selbst bei einfachsten Tätigkeiten sind Sprachkenntnisse notwendig“, sagte etwa Ute Ernst. Deshalb müssten etwa Flüchtlinge zunächst „fit in Deutsch“ gemacht werden; erst dann könne man daran denken, sie als Azubis anzustellen. „Dafür brauchen wir Geduld“, sagte sie, aber sie sei sicher, dass dieser nicht einfache Weg sich am Ende lohnen werde. Zumal sie beobachtet habe, dass junge Flüchtlinge in der Regel „hoch motiviert“ seien, einen Beruf zu erlernen und ihr eigenes Geld zu verdienen.

Längerfristiger Nutzen

Auch Kathrin Kimmich ist überzeugt vom Potenzial der Flüchtlinge als zukünftige Fachkräfte für die deutsche Wirtschaft: Wenn man es richtig anstelle, bestünden gute Chancen, „dass mehr Asylsuchende vermittelbar sind, als es derzeit kolportiert wird“. Sie rät Arbeitgebern, darauf zu achten, ob ihre künftigen Mitarbeiter „aus Ländern mit Bleibeperspektive“ kämen, also aus Syrien, Eritrea, dem Iran oder dem Irak. Denn dann sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Unternehmen auch längerfristig etwas von den Mitarbeitern hätten.

Landrat Gerhard Wägemann beklagte einerseits zwar, dass derzeit „zu viele Flüchtlinge zu uns kommen; wir schaffen das nicht mehr“ (siehe unten). Er sieht andererseits in ihnen aber auch beträchtliches Potenzial für den Arbeitsmarkt: „Ein guter Teil bringt eine gute Ausbildung mit und ist – entgegen so manchen Unkenrufen – hoch motiviert.“ Also durchaus ein Faktor, um die Nöte mancher Arbeitgeber auf mittlere Sicht zu lindern.

Erste Anlaufstelle für interessierte Arbeitgeber ist die ZIA, Telefon 0 91 41/90 21 02, http://www.altmuehlfranken.de/zukunftsinitiative/