"Fahrtüchtigkeit hat nichts mit dem Alter zu tun"

7.11.2013, 08:04 Uhr

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Das Institut für Psychogerontologie an der Universität Erlangen widmet sich dem Phänomen des Alterns in allen Lebensbereichen. Erforscht werden dabei körperliche, psychische, gesellschaftliche und kulturelle Aspekte. Das Zentrum für Altersmedizin am Klinikum Nürnberg behandelt altersspezifische Erkrankungen. Zu den Aufgaben beider Einrichtungen gehört außerdem die Durchführung von Fahrtauglichkeitsuntersuchungen.

Ab welchem Alter sollte ein Mensch nicht mehr Auto fahren?

Roland Rupprecht, Akademischer Direktor am Institut für Psychogerontologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Roland Rupprecht, Akademischer Direktor am Institut für Psychogerontologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. © oh

Dr. Roland Rupprecht: Das kann man nicht am Alter festmachen. Autofahren ist eine komplexe Tätigkeit, bei der schnelles Reaktionsvermögen und die Fähigkeit, viele Informationen gleichzeitig zu verarbeiten, gefragt sind. Man muss in der Lage sein, den Überblick zu behalten, neue Situationen schnell einzuschätzen und sich über lange Zeiträume zu konzentrieren. Körperliche Gesundheit und Leistungsfähigkeit - also beispielsweise ausreichendes Seh- und Hörvermögen und eine gewisse Beweglichkeit - sind unerlässlich. Wenn die beschriebenen Fähigkeiten nicht mehr ausreichend vorhanden sind, wird es problematisch.

Welche altersspezifischen Erkrankungen spielen in Bezug auf Fahrtauglichkeit eine Rolle?

Johanna Myllymäki, Koordinatorin am Zentrum für Altersmedizin des Klinikums Nürnberg.

Johanna Myllymäki, Koordinatorin am Zentrum für Altersmedizin des Klinikums Nürnberg. © oh

Johanna Myllymäki: Zu nennen wären in diesem Zusammenhang beispielsweise die Demenz, der Schlaganfall, Folgeerkrankungen von Diabetes, die dafür sorgen, dass die Empfindsamkeit in Händen und Füßen nachlässt, oder auch Erkrankungen des Bewegungsapparates. Aber auch ein junger Mensch kann krank und dadurch nicht in der Lage sein, Auto zu fahren. Das hat eigentlich nichts mit dem Alter zu tun.

Fänden Sie es sinnvoll, wenn Autofahrer ab einem gewissen Alter regelmäßig zu einer Pflichtuntersuchtung antreten müssten?

Myllymäki: Es gibt eigentlich keinen Grund dafür. Statistisch gesehen verursachen alte Autofahrer weniger Unfälle als Fahranfänger und junge Fahrer. Sinnvoll wäre stattdessen, regelmäßig das Seh- und Hörvermögen und die körperliche Gesundheit aller Autofahrer zu überprüfen, nicht nur der älteren.

Wodurch machen sich denn die nachlassenden Fähigkeiten im Straßenverkehr bemerkbar, und auf welche Symptome sollte ein älterer Autofahrer bei sich selber achten?

Rupprecht: Wenn man häufig das Gefühl hat, ein anderes Auto, einen Passanten oder Radfahrer zu spät gesehen zu haben, sollte man vielleicht einmal zum Augenarzt gehen und das Gesichtsfeld kontrollieren lassen. Wenn ein älterer Fahrer oft durch Situationen völlig überrascht wird und sich brenzlige Situationen, in denen gerade noch einmal alles gut gegangen ist, häufen, kann das ein Warnsignal sein.

Muss man das Autofahren gleich ganz aufgeben, wenn man leichte Einschränkungen bei sich feststellt?

Rupprecht: Nein, man kann das auch kompensieren, indem man beispielsweise nur noch Strecken fährt, die man sehr gut kennt oder sich für notwendige Fahrten Uhrzeiten sucht, zu denen wenig Verkehr ist. Bei längeren Reisen sollten die Fahrt gut geplant und die Straßenkarte eingehend studiert werden. Außerdem kann es sinnvoll sein, von einem Fahrzeug mit Schaltgetriebe auf einen Pkw mit Automatik umzusteigen und sich für ein übersichtliches, leicht zu bedienendes Modell zu entscheiden. Dazu gibt es Testberichte und Empfehlungen, beispielsweise vom ADAC. Das Nürnberger Zentrum für alternsgerechte Dienstleistungen (ZAD) bietet außerdem Mobilitäsberatungen für ältere Menschen an. Wer sich unsicher in Bezug auf seine Fahrtüchtigkeit ist und möglicherweise auch Alternativen zum Auto sucht, kann dort einen Termin vereinbaren.

Wie sollte ein Angehöriger reagieren, der das Gefühl hat, dass sein Vater oder seine Mutter eventuell ein Risiko im Straßenverkehr darstellen? Sollte man das im Familienkreis thematisieren?

Myllymäki: Am besten fährt man einfach einmal bei seinem Angehörigen als Beifahrer mit und schaut sich unvoreingenommen an, ob es noch funktioniert. Wenn man Einschränkungen bemerkt, kann man seiner Mutter oder seinem Vater auch vorschlagen, sich zu einer freiwilligen Fahrtüchtigkeitsuntersuchung  beim TÜV oder beim ADAC anzumelden. Einige Fahrschulen bieten ebenfalls Fahr-Fitness-Checks an - auch anonym. Führt dies zu Konflikten, ist es sinnvoll, eine neutrale Person hinzuzuziehen, beispielsweise den Hausarzt. Wir haben aber am Zentrum für Altersmedizin die Erfahrung gemacht, dass viele ältere Menschen es als Entlastung und Erleichterung empfinden, wenn Angehörige auf ihre Probleme aufmerksam werden.

Rupprecht: Ich denke schon, dass es sinnvoll ist, im Zweifelsfall einzugreifen. Schließlich schützt man seine Angehörigen ja auch vor sich selber. Am besten geht man dabei diplomatisch vor und macht erst einmal nur Vorschläge, zum Beispiel: "Ich war gerade beim Augenarzt, der hat gesagt, dass man sich alle zwei Jahre untersuchen lassen soll. Ich könnte für dich auch einen Termin machen."

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