Auto Shanghai: Hat China schon die Nase vorn?

21.4.2017, 19:49 Uhr
Auto Shanghai: Hat China schon die Nase vorn?

© ule

In Europa drohen sich Automessen zum Auslaufmodell zu entwickeln. Volvo, Alfa Romeo, Fiat, Jeep, Peugeot, DS, Nissan, Infiniti und Mitsubishi haben bereits angekündigt, nicht an der Frankfurter IAA im September teilnehmen zu wollen. Ganz anders die Situation in China. Auf der "Auto Shanghai" sind die meisten Hersteller brav vertreten. Längst ist das Reich der Mitte zum größten Automobilmarkt der Welt geworden und hat selbst die PS-Nation USA hinter sich gelassen. Hier mit Abwesenheit zu glänzen, mag sich keiner leisten.

Von der "Auto Shanghai" sagen die Veranstalter, dass sie die weltweit größte Automesse sei. Tatsächlich ist die Show auf dem riesigen Messegelände ein gigantisches Spektakel, das sein Gesicht überdies gründlich gewandelt hat. Waren die Autoshows von Shanghai und Peking früher leicht schmuddelige Veranstaltungen, laut und lärmend, mit rüpelhaftem Publikum ohne Scheu vor Ellbogeneinsatz im Kampf um den besten Blick aufs Ausstellungsobjekt, so reibt sich der westliche Besucher heute mitunter die Augen, wenn er der hochprofessionellen Architektur der Messestände ansichtig wird. Bei der neu gegründeten Marke Lynk & Co - wie Volvo dem Geely-Konzern zugehörig - lässt man die Besucher nur blockweise aufs Areal, wo sie durchs Auge der Smartphone-Kamera den ausgestellten Neuheiten huldigen sollen. Und beim Start-up Nio, auch das eine neue Marke, scannt das Publikum einen Barcode vom Handy ein, um Zugang zum umfangreich dargebotenen Markenkosmos zu erlangen.

Auto Shanghai: Hat China schon die Nase vorn?

© ule

Die Plagiate werden weniger

Längst sind chinesische Automobilausstellungen nicht mehr die Copy-Shops früherer Tage. Zwar erinnert der Land Wind X7 sehr verdächtig an den Range Rover Evoque, ähnelt die SUV-Coupé-Studie Haval HB03 unübersehbar dem BMW X4 und hat sich der Zotye E200 eindeutig den Smart Fortwo zum Vorbild genommen. Darüber hinaus gehen die Hersteller, deren Namen bei uns kaum einer kennt - Haval, Hong Qi, Trumpchi oder Yudo - und bei denen sich die Informationsfindung aufgrund der Sprachbarriere noch immer zäh gestaltet, selbstbewusst ihre eigenen Wege. SUVs zuhauf stellen sie aus, sprühen aber auch vor Ideenreichtum, was die vorgezeigten Studien betrifft. Ziemlich coole Exponate sind zu sehen, vor allem mit den Türkonzepten spielen die Designer und Techniker, man experimentiert allerorten mit Flügeltüren, Scherentüren oder Portaltüren. Auch qualitativ sind die Modelle aus Fernost dem Billigheimer-Habitus deutlich entwachsen.

Die Innenräume zeigen sich weitgehend von Schaltern und Knöpfen befreit, großformatige Displays, gerne hochkant installiert, dienen als Schaltzentralen. Vernetzung ist eine essenzielle Kerntugend. "Wir haben hier ein sehr junges Käuferpublikum", sagt Hubertus Troska, China-Chef bei Daimler, "der durchschnittliche Kunde ist erst 36 Jahre alt und sehr technologie- und konnektivitätsaffin". Zum Vergleich: In den USA beträgt das Durchschnittsalter 45, in Europa 55 Jahre. "Man kann in China deshalb sehr gut lernen, wie die Kunden bei uns und in den USA in zehn Jahren ticken werden", erklärt Troska.

Elektroautos in vielen Varianten

Darüber hinaus fehlt an kaum einem Messestand eine Deko-Ladesäule, es herrscht ein großer Reichtum an elektrischen Exponaten. Das hat zwei Gründe. Zum einen ist es in China problemlos möglich, ein E-Auto zuzulassen, während die Kennzeichen für Autos mit Benzinmotor (Diesel spielt in China keine Rolle) in den großen Städten nur noch verlost werden. In Peking liegt die Chance, hierbei zum Zuge zu kommen, bei unter fünf Prozent. Zum zweiten steht im Reich der Mitte eine Elektroauto-Quote im Raum. Demnach sollen die Automobilhersteller ab 2018 zunächst acht, später zwölf Prozent ihrer Fahrzeuge nur noch elektrifiziert an den Mann bringen dürfen. "China ist der größte Markt für Elektroautos", sagt Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen. Auf der Automesse von Shanghai sind die Stromer in größtmöglicher Vielfalt zu sehen, vom zweisitzigen E-Winzling von Denza über das siebensitzige SUV ES8 von Nio, den flügeltürigen Sportflitzer MG E-Motion, den 870 PS starken Qoros K EV und den spektakulären, 312 km/h schnellen Starkstromer Nio EP9 bis hin zum 22-sitzigen Elektrobus von FDG.

Auto Shanghai: Hat China schon die Nase vorn?

© ule

Unter den deutschen Herstellern bemüht sich vor allem der Volkswagen-Konzern, in elektrischer Hinsicht auf Augenhöhe zu bleiben. Die Kernmarke VW stellt mit dem SUV-Coupé I.D. Crozz das dritte Modell seiner künftigen E-Familie vor, Produktionsstart ist laut Markenchef Herbert Diess schon 2020. Skoda bringt die Studie Vision E mit, sie baut ebenfalls auf dem Modularen Elektrifizierungs-Baukasten (MEB) des Hauses auf und soll analog zum VW auf 500 km Reichweite kommen. Und Audi zeigt den e-tron Sportback, 505 PS stark und allradgetrieben, das serienfertige Modell ist für 2019 angekündigt.

Weltpremieren aus Deutschland

Aber auch in konventioneller Hinsicht hegen und pflegen die europäischen Marken ihre chinesischen Kunden. Das Reich der Mitte ist noch immer ein Chauffeursmarkt, deshalb zeigt BMW als Weltpremiere die Langversion des neuen 5er. Außerdem steht der 460 PS starke M4 CS zur Schau, und Mini präsentiert den Countryman in 231 PS leistungsfähiger John-Cooper-Works-Version. Mercedes erwählt China nicht von ungefähr zur Premierenbühne für sein gründlich überarbeitetes Flaggschiff. "Jede dritte S-Klasse wird nach China verkauft", sagt Hubertus Troska, bei der besonders luxuriösen Maybach-Ausführung seien es sogar 60 Prozent. In Anerkennung ihrer Bedeutung begrüßt Troska die chinesischen Besucher in Landessprache, da brandet Beifall auf. Neben der S-Klasse feiert die Limousine der A-Klasse Weltpremiere, zunächst noch als Concept-Car, das Serienmodell geht 2018 in die Produktion, dies "als fünftes lokal in China produziertes Modell", wie Vertriebsvorstand Britta Seeger ankündigt. Citroen wiederum fährt sein neues SUV C5 Aircross ins Scheinwerferlicht; die chinesischen Kunden werden es schon Ende 2017 bekommen, während die Europäer noch ein Jahr länger warten müssen.

Europa im Visier

Nach wie vor genießen gerade die deutschen Modelle einen besonderen Nimbus im Reich der Mitte. Der ist auch draußen auf der Straße präsent. Im 25-Millionen-Moloch Shanghai laviert der Stadtverkehr permanent am Rande des Kollapses entlang, beim Dahinstauen hat man genügend Zeit, die rundum vertretenen Marken zu studieren, viele VW-Zeichen, Audi-Ringe, Mercedes-Sterne und BMW-Propeller sind zu sehen. China-Modelle befinden sich eher in der Minderzahl.

Auto Shanghai: Hat China schon die Nase vorn?

© ule

Das, was auf der Auto Shanghai zu sehen ist, nährt indes die Vermutung, dass sich das bald ändern könnte. Und auch Europa wollen die Chinesen in Angriff nehmen. Mal wieder, ist man eingedenk des vormaligen Scheiterns von Brilliance, Land Wind & Co. zu sagen. Aber: Die neuen Marken wie Lynk oder Nio sind von anderer Qualität und anderem Charisma. Lynk plant seinen Europa-Start für 2019 ein, ebenso wie die traditionsreiche und inzwischen unter SAIC-Ägide befindliche Marke MG. Nio dagegen will sich erst China und die USA vornehmen, bevor 2025 auch Europa dran ist - ob mit oder ohne Messestand auf der IAA.

Ulla Ellmer 

Keine Kommentare