Smart: Zurück in die Zukunft

1.10.2017, 21:36 Uhr
Smart: Zurück in die Zukunft

© Hersteller

Ganz überraschend kam die Ankündigung nicht: Am Vorabend der Frankfurter IAA gab Daimler-Chef Dieter Zetsche bekannt, dass Smart in Europa bis 2020 zur reinen Elektromarke umstrukturiert werden würde. Dass dieser Schritt in den USA und in Kanada bereits zum neuen Modelljahr 2017 erfolgen wird, wusste man da bereits seit Februar.

Die Entscheidung macht auch aus der Markengeschichte heraus Sinn. Schon bei den Keimzellen der heutigen "Smarties" standen Elektroantrieb und clevere Mobilitätskonzepte im Raum. Bereits 1972 begann der damalige Mercedes-Konstrukteur Johann Tomforde an seinem unkonventionellen Nahverkehrsautomobil NAFA zu tüfteln, 1982 stellte er die zweisitzige und 2,50 m kurze Studie vor, sehr kantig noch, mit Schiebetüren, die Mercedes-Ingenieure nannten das futuristische Gefährt schwäbisch liebevoll "Vesperwägele".

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1991 erarbeiteten Tomforde und sein Kollege Anton Reichel dann ein Elektroantriebs-Chassis für den gleichfalls zweisitzigen Microkompaktwagen MCC01, der im Auftrag von Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco im kalifornischen Irvine entworfen worden war. 1993 ging daraus die Elektrostudie "Eco-Sprinter" hervor, begleitet vom Cabrio "Eco-Speedster", das allerdings von einem Verbrennungsmotor angetrieben wurde. Und auch der Schweizer Unternehmer Nicolas Hayek, dessen Firma SMH im Jahr 1994 mit Daimler-Benz das Joint Venture "Micro Compact Car AG" einging, hatte bei der Vision seines "Swatch-Autos" immer Hybrid- bzw. E-Antrieb mit Radnabenmotoren im Sinn. Allerdings befand Mercedes das Konzept damals noch nicht für fahrtauglich und betrachtete den technischen Aufwand außerdem als finanziell nicht kompatibel mit der Philosophie eines preiswerten Kleinstwagens - mit ein Grund für das spätere Zerwürfnis der Partner. Als man 1997 das erste fertige Smart "city Coupé" präsentierte, da wurde es von einem Dreizylinder-Benziner angetrieben. Es sollte 2012 werden, bis der erste Elektro-Smart tatsächlich für eine breitere Kundschaft erhältlich war.

Exklusives Antriebsrecht für "Electric Drive"

Jetzt soll der "Electric Drive" das exklusive Antriebsrecht für Fortwo, Fortwo Cabrio und Forfour bekommen. Um das preislich einzuordnen: Ausgestattet mit einem 82-PS-Elektromotor und einer Praxis-Reichweite von etwa 130 km kostet der Fortwo ED 21.940 Euro. Abzüglich Umweltbonus (4.000 Euro) ergibt sich also ein Preis unterhalb von 18.000 Euro. Recht viel günstiger kann man kaum Elektroauto fahren.

In Nordamerika hatten die benzinbetriebenen Smarties - bedingt durch das Tief bei den Spritpreisen - zuletzt ein Verkaufsproblem. Dagegen erreichen die stromernden Varianten einen erstaunlich hohen Anteil von 25 (USA) bzw. 50 Prozent (Kanada). Die elektrischen Modelle seien generell gut angelaufen, wie Smart-Chefin Annette Winkler sagt: "Die Autos waren schon ausverkauft, bevor ein einziges beim Händler angekommen war. Ohne Probefahrt, einfach weg". Dass Smart künftig nur noch elektrisch fährt, sei mit vielversprechend positivem Feedback begrüßt worden: "Die Rückmeldungen, die ich bislang bekommen habe, sind einfach grandios und lauten zusammengefasst: Wenn es eine Marke gibt, die das machen kann, dann ist das Smart".

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Visionen der Gründerväter

Aber auch in anderer Hinsicht kehrt Smart zu den Visionen seiner Gründerväter zurück. Immer schon sollten die Ultraminis überfüllte Innenstädte entlasten, immer schon waren clevere Mobilitätskonzepte angedacht worden. Nach und nach werden diese jetzt realisiert. Das Carsharingprogramm Car2Go läuft schon seit 2009, ergänzt werden soll es durch privates Carsharing ("Ready to Share"), auch ein weiteres Projekt ("Ready to Drop") wird bereits erprobt, es sieht vor, dass DHL Pakete in den Kofferraum von Smarts liefert.

Einen Blick in eine fernere Zukunft gewährt die auf der IAA vorgestellte Studie "Vision EQ Fortwo". Sie fährt nicht nur elektrisch, sondern auch autonom. Ein Lenkrad braucht es daher ebensowenig wie Pedale, daraus ergibt sich ein erstaunlich "loungiges" Raumgefühl. Warum ausgerechnet ein Zweisitzer als Taxi Sinn macht, erklärt sich nach Ansicht von Smart-Chefin Winkler aus dem Bedürfnis nach Privatsphäre: "Wenn jemand Carsharing wählt und nicht den öffentlichen Nahverkehr, dann will er für sich sein", sagt sie. "Er will seine Musik hören, seine Telefonate führen und nicht wissen, ob der, der neben ihm sitzt, auch rechtzeitig geduscht hat". Auch die Gepäckproblematik sei keine unlösbare: "Wenn ich ausnahmsweise einmal mehr zu transportieren habe, bestelle ich einfach einen zweiten Smart".

Wetterbericht auf der Karosserie

Besitzen wird man den automatisierten Smart nicht können, dafür aber teilen. Er erfüllt einen Job als Robotertaxi, das per Smartphone bestellt wird. So der Passagier seine Privatsphäre teilen möchte, kann er unterwegs spontan einen weiteren Mitfahrer einladen und so die Fahrtkosten teilen. Über ein Display wird der Fahrgast namentlich begrüßt, die Glasflächen der Karosserie lassen sich mit den Bundesligaergebnissen oder dem Wetterbericht bespielen.

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Der Charme der Vision liegt auch darin, dass die selbstfahrenden Smarts permanent im Umlauf sind und so keine Parkfläche benötigen. Weniger Autos könnten also mehr Passagiere befördern, im Vergleich zum Carsharingprogramm Car2Go ließe sich die Smart-Flotte halbieren. Damit ginge auch das Verkehrsaufkommen zurück. Schlaue Algorithmen dirigieren den Smart-Schwarm immer dahin, wo hoher Bedarf vermutet wird - kurz vor dem Ende eines Fußballspiels etwa in die Nähe des Stadions. Selbst bei Nacht gäbe es für die Robo-Taxis was zu tun - wenn sie keine Fahrgäste befördern, könnten sie Pakete ausliefern.

Von solchen Möglichkeiten wagte noch nicht einmal Smart-Miterfinder Nicolas Hayek zu träumen. Wohl aber dachte er an eine Kooperation mit der Bahn, die den Kleinstwagen auf einem speziellen Waggon mit auf weitere Reisen nehmen sollte - wenn man so will, eine frühe Form des autonomen Fahrens.

Ulla Ellmer

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