Wird Tesla entzaubert?

19.11.2017, 16:29 Uhr
Wird Tesla entzaubert?

© Hersteller

Was ist Tesla nicht gefeiert worden in den letzten Jahren. Und tatsächlich schienen das strahlende Start-up aus Kalifornien und sein charismatischer Chef Elon Musk lange Zeit auf der Siegerstraße zu fahren. Mit der schnittigen, reichweitenstarken Sportlimousine Model S dekorierten sich nicht nur an der US-Westküste die Schönen und Reichen. Passend zu seinem elektrischen Portfolio installierte Musk ein weltweites Netz an Ladestationen, die sogenannten Supercharger. Neben der modernen Zaubermarke erschienen die etablierten Automobilhersteller von Ford bis Daimler plötzlich wie schmutzelnde Dinosaurier aus einer anderen Zeit. Den vermeintlich dem Untergang Geweihten wurde und wird Tesla als leuchtendes Vorbild vorgehalten. "Die deutschen Autobauer haben den Trend zur Elektromobilität verschlafen", lautet der gängige Vorwurf, den nicht nur Internetportale wie Zeit online oder die Berliner Tageszeitung taz formuliert haben.

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Inzwischen aber haben sich Schatten auf das glänzende Image von Tesla gelegt. Noch immer schreibt das Unternehmen keine schwarzen Zahlen, seit der Gründung im Jahr 2003 ist es noch nie gelungen, einen Jahresgewinn vorzulegen. Geradezu tiefrot fiel der dritte Quartalsbericht 2017 aus, die dort ausgewiesenen 619 Millionen Dollar (525 Millionen Euro) markieren das bislang fetteste Minus in einem Quartal. An der Börse ist Tesla noch immer ein wertvolles Unternehmen, und doch mussten die Kalifornier General Motors (GM) inzwischen wieder vorbeiziehen lassen.

Probleme mit der Massenproduktion

Zurückzuführen ist der Fehlbetrag im dritten Quartal 2017 vor allem auf den – vorsichtig formuliert – unrunden Produktionsanlauf des Model 3. Mit dem bezahlbaren Mittelklassemodell (35.000 Dollar) wollte Tesla den Volumenmarkt erobern und den Beweis antreten, dass man auch Massenproduktion kann. Das ist aber offensichtlich nicht wirklich der Fall. Statt, wie geplant, im dritten Quartal dieses Jahres über 1500 Einheiten vom Model 3 zu produzieren, sind es jetzt gerade einmal 260 geworden. Fehlerfreie Fertigung im großen Stil ist kein Kinderspiel, wie die Kalifornier erkennen müssen. Während der Volkswagen-Konzern 2016 rund 10,3 Millionen Fahrzeuge ausgeliefert hat, sind es bei Tesla nur ca. 75.000 gewesen. Von den rund 500.000 Kunden, die ein Model 3 vorbestellt und 1000 Dollar (rund 850 Euro) Anzahlung dafür geleistet haben, sind angeblich knapp 65.000 entnervt vom Kauf zurückgetreten.

Es ist nicht der erste Fehlschlag in der jungen Firmengeschichte. Das flügeltürige SUV Model X beispielsweise musste in die Werkstatt zurückgerufen werden, weil die Sitze der zweiten Reihe bei einem Unfall nach vorne rutschen konnten. Arbeitnehmer beschweren sich über die Arbeitsbedingungen in den Fabriken. 700 Angestellten hat Tesla schon gekündigt, etliche Führungskräfte sind von selbst gegangen, zuletzt hat der Batterie-Chefingenieur Jon Wagner seinen Hut genommen und ein eigenes Elektro-Start-up gegründet. Und auch beim Strom-Heimspeicher "Powerwall" kommt es zu Lieferverzögerungen.

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Elektro-Lkw mit 800 km Reichweite

Daneben hatte sich der Start des vollmundig angekündigten Elektro-Lkw "Semi" mehrfach verschoben. Erst am vergangenen Donnerstagabend war es soweit, auf einem Flugplatz im kalifornischen Hawthorne präsentierte Tesla nun endlich die Serienversion des elektrifizierten 40-Tonners. Der futuristische Sattelschlepper ist mit vier Motoren ausgestattet und soll eine Reichweite von 800 Kilometern schaffen – voll beladen. Die erwähnten Supercharger sind mit dem Semi überfordert, für ihn braucht es "Megacharger", ein entsprechendes Netz muss noch installiert werden. Eine halbe Stunde Pause an der Ladesäule soll ausreichen, um die elektrischen Reserven für weitere rund 650 Kilometer aufzufüllen. Der Produktionsstart des auch fürs autonome Fahren vorbereiteten E-Trucks ist für 2019 geplant.

Sein Beispiel zeigt aber auch exemplarisch auf, wie es Tesla schon bald ergehen könnte. Denn auf dem Gebiet der E-Lkw sind andere bereits schneller gewesen als die einstigen Elektro-Pioniere. Die Daimler-Tochter Fuso hat schon auf der Tokyo Motor Show im November den E-Fuso Vision One vorgestellt, einen 23-Tonner mit 350 Kilometern batterieelektrischer Reichweite. Und vom Schweizer Unternehmen E-Force One laufen erste E-Trucks bereits auf der Straße, ab Dezember soll zusätzlich der brandneue 40-Tonner E44 (Reichweite maximal 300 km) im Lieferverkehr eingesetzt werden.

Sportlicher Roadster schafft 400 km/h Spitze

Vielleicht hat Elon Musk sein Publikum auch deshalb mit einer sportlichen Überraschung bedient. Neben dem Semi Truck zeigte er einen tatsächlich bildschönen Targa-Sportwagen, der an die Ursprünge des Unternehmens erinnert – der von 2008 bis 2012 produzierte Tesla Roadster ist einst das erste Serienfahrzeug der Kalifornier gewesen. Sein Nachfolger soll atemberaubende 400 km/h schnell sein, 1000 Kilometer Reichweite erzielen und 2020 auf den Markt kommen. Waren beim Model 3 noch 1000 Dollar Anzahlung genug, werden für den Roadster schon 50.000 Dollar fällig – er soll ja auch 170.000 Dollar kosten.

Wird Tesla entzaubert?

© Tesla

Gut möglich, dass auch Tesla die Massenproduktion über kurz oder lang beherrscht. Dann könnte es aber schon zu spät sein. Die etablierte Konkurrenz – von Tesla aufgeweckt und zu großem Tatendrang getrieben – droht die Kalifornier rechts zu überholen bei der Elektromobilität. Jaguar startet schon 2018 mit seinem Elektro-SUV i-Pace durch, BMW weitet seine i-Palette aus, VW und Mercedes installieren ihre Submarken I.D. und EQ, Ford arbeitet am "Model E" und auch GM plant für eine elektrische Zukunft. Die Aufholjagd der Dinos hat begonnen.

Ulla Ellmer

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