"303": Geküsst wird erst ganz am Schluss

19.7.2018, 08:00 Uhr

© Alamode

Die Studentin Jule ist gerade durch die Biochemie-Prüfung gerasselt, außerdem ist sie schwanger und hadert mit dem Rat ihrer Mutter, abzutreiben. Irgendwo anders in Berlin erfährt Jan von seinem Professor, dass seine Bewerbung um ein Stipendium abgelehnt wurde. Die Konrad-Adenauer-Stiftung sei kein "liberaler Thinktank", erklärt der Lehrer dem Politikstudenten, der zwar der begabteste sei, aber strategischer denken müsse, wenn er seine Ziele erreichen wolle. "Und was ist mit Haltung?", fragt Jan empört.

Jan und Jule erleben also gerade nicht die beste Zeit. Sie beschließt, im vom Bruder geerbten Mercedes 303- Wohnmobil zu ihrem Freund nach Portugal zu fahren, um über ihre Schwangerschaft zu beraten, Jan will endlich seinen leiblichen Vater in Bilbao kennenlernen, wird aber von seiner Mitfahrgelegenheit versetzt. Und weil Jule zufällig an derselben Tankstelle steht, nimmt sie ihn mit.

Die unverhoffte Fahrgemeinschaft beginnt etwas holprig, man kommt gleich ins Reden, unglücklicherweise auch gleich auf das Thema Selbstmord, bei dem sich die Ansichten radikal unterscheiden, und schon steht der junge Mann wieder auf der Straße. Aber dann treffen sie sich erneut, wird Jan sogar zum Retter in höchster Not. Bis die Reise ins Rollen kommt, braucht es einen dramaturgisch doch recht konstruierten Anlauf.

Macht aber nichts, denn von nun an erleben wir – so hautnah, als würde man mit im Bus sitzen – zwei Menschen, die sich viele sehr ernst zu nehmende Gedanken machen, über Gott und die Welt, über das Wesen des Menschen, über Polygamie und Geschlechterdifferenzen, über die Frage, ob Konkurrenz oder Kooperation besser für die Gesellschaft ist; die sich streiten, lachen, albern sind, die jede Grenzüberfahrt wie eine kleine Eroberung feiern – und sich die Köpfe heißreden über den Unterschied zwischen Liebe und Leidenschaft und "genetische Kompatibilität". Je länger die Reise dauert, umso intimer werden die Gespräche. Und wie sich hier ganz allmählich der Zauber der Liebe einschleicht, zeigen die verstohlenen Blicke oder das heimliche Schnuppern am T-Shirt des anderen.

Mala Emde und Anton Spieker wirken als Jule und Jan dabei so wahrhaftig und spontan, dass man kaum glauben kann, dass Weingartner ("Die fetten Jahre sind vorbei") jeden Satz im Drehbuch, an dem er jahrelang feilte, festgeschrieben hat. Einmal wird dieser romantische Roadtrip Richtung Liebe fast zum Touristenausflug – inklusive Surfen im Meer, Kloster- und Höhlenbesuch. Aber das passt auch zu zwei frisch Verliebten. Die schwersten Entscheidungen stehen ihnen eh noch bevor.

Mit "303" ist Weingartner ein hinreißend zarter Liebesfilm gelungen, so klug wie empathisch, der ganz nebenbei auch ein Lob auf die Langsamkeit des Reisens ist. Von der Autobahn auf die Landstraße sind Jan und Jule schon kurz nach Berlin abgebogen. (D/P/145 Min.)

Verwandte Themen


Keine Kommentare