"Auf der Jagd": Gams und Reh als Störfaktor

11.5.2018, 09:00 Uhr

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Wenn man weiß, dass 90 Prozent der Waldfläche in Deutschland Nutzwald und damit Wirtschaftsfaktor sind — und dazu noch das Bayerische Waldgesetz zitiert, nach dem die Devise "Wald geht vor Wild" gilt —, braucht es nicht viel Fantasie, um den Stellenwert von Wildsau, Reh und Hirsch einzuschätzen. Wo der Mensch die Natur als Kulturlandschaft gestaltet, verwaltet und nutzt, hat das Wild ohnehin keine Lobby. Es werde nur dort geduldet, wo es nicht schadet, stellt im Film eine Waldbiologin klar. Wo also soll es hin, wenn es — wie ein Landwirtschafts-Arbeiter sagt — gar keine echte Natur mehr gibt?

An diesem Punkt kommen in Alice Agneskirchners vielstimmiger Dokumentation die Jäger und Förster ins Spiel. Und die stoßen bei weitem nicht alle ins gleiche Horn. Einerseits wird der Druck der Behörden beklagt, die zur Bestandskontrolle feste Abschussraten fordern. Wie viel Wild gejagt werden muss, richtet sich unter anderem nach den "Verbissen" an jungen Bäumen. Je mehr Triebe gefressen werden, desto höher ist die Quote. Wird das Abschuss-Soll nicht erfüllt, drohen Strafen.

Eine Richtlinie, die zu paradoxen Situationen führt, wenn für ein Revier mehr Abschüsse gefordert werden als Wild aufzuspüren ist. Die Gemsen in den Bayerischen Alpen drohen dadurch auszusterben.

Andererseits werden gute Abschuss-Ergebnisse gefeiert, stolz Jagdtrophäen präsentiert. Und eine Jägerin flüstert im Hochsitz, dass "Bestände, wie der Mensch sie wünscht", nicht allein von Wolf und Luchs geschaffen werden können. Agneskirchner setzt auf Kontraste, um des deutschen Jägers Verhältnis zum Wild zu verdeutlichen. In parallel laufenden Szenen erlegen Wölfe ein Reh, weidet ein Jäger ein Wildschwein aus.

Ein Ausflug zu drei kanadischen Elch-Jägerinnen zeigt deren respektvolle, rituelle und naturnahe Auffassung von der Jagd. Längst vertraute Bilder von einem auf maximalen Profit geeichten Melk-Karussell und industrieller Tierverarbeitung zeugen dagegen von der radikalen Entfremdung des Menschen von der Natur — und relativieren beinahe die viel kritisierte Jagd. Plakativität und Polemik ist dabei nicht das Ding der Filmemacherin. Sie geht ihr Thema ruhig und besonnen an — und bringt einen so zum Nachdenken. (D/96 Min.)

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