"Das Haus am Meer": Verlorenes Paradies

21.3.2019, 09:00 Uhr

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"Was soll’s" – das sind die letzten Worte des Vaters, bevor er einen Schlaganfall erleidet und danach weder gehen noch sprechen kann. Was für den alten Mann ein achselzuckendes Lebensresümee gewesen sein mag, ist für seine drei Kinder noch eine offene Frage. Angèle (Ariane Ascaride), Joseph (Jean-Pierre Darroussin) und Armand (Gérard Meylan) treffen im Elternhaus ein, um vom Vater Abschied zu nehmen. Alle drei sind um die 60 und scheinen die Orientierung in ihrem fortgeschrittenen Leben verloren zu haben. Joseph hat sich vom Arbeiter zum Gewerkschafter und Uni-Dozenten hochgearbeitet und wurde in den Vorruhestand gedrängt. Seitdem versucht er sich vergeblich als Literat und lässt sich mit schwindendem Erfolg von seiner viel zu jungen, zukünftigen Ex-Freundin bewundern.

Armand ist als Einziger in seinem Heimatort geblieben und versucht, das Familienrestaurant im Sinne des Vaters weiterzuführen. Seit jeher werden dort einfache Speisen für die weniger betuchte Kundschaft angeboten. Die Schauspielerin Angèle ist seit 20 Jahren nicht mehr ins Elternhaus zurückgekehrt. Ihre kleine Tochter ist damals während eines Besuchs bei den Großeltern unten im Hafen ertrunken, Angèle konnte das ihrem Vater nie verzeihen. An dessen Sterbebett tasten sich die Geschwister langsam wieder zueinander vor und stellen ihr festgefahrenes Leben infrage.

Für sein melancholisches Familienporträt "Das Haus am Meer" hat sich Robert Guédiguian die Kulisse einer gebrochenen Idylle ausgesucht. In dem kleinen Küstenort nahe Marseille schmiegen sich die Häuser in die malerische Bucht. Die kleine Villa über dem Meer hat der Vater einst selbst gebaut in dem sicheren Gefühl, ein Stück Paradies zu erschaffen.

Aber die goldenen Zeiten, in denen hier Sommergäste und Einheimische rauschende Feste feierten, sind nur noch Erinnerungen auf alten Schwarz-Weiß-Fotos und in grobkörnigen Rückblenden. Viele Bewohner haben den Ort verlassen. Die Angebote der Immobilienmakler, die Sommerhäuser für ihre Großstadtkunden suchten, waren zu verlockend. Die Alten, die blieben, können sich die Mieten nicht mehr leisten. Im Winter gleicht das einstige Paradies einer Geisterstadt. Am Hafen patrouilliert die Armee, auf der Suche nach Geflüchteten.

Guédiguian mischt diese äußeren Faktoren der Entseelung eines Ortes mit der ganz persönlichen Suche der Geschwister nach emotionaler Verortung. Daraus ist ein kluger, sensibler Film entstanden, der vom Verlieren, Suchen und Finden im letzten Lebensviertel erzählt und unverhofft im Tagespolitischen einen Moment tiefer Verbundenheit findet. (F/107 Min.)

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