"Ein Leben": Schicksalsprüfungen einer reinen Seele

15.2.2018, 13:54 Uhr

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Gerade aus der Klosterschule entlassen, vermählt sich die junge Landadelige Jeanne (großartig: Judith Chemla) mit dem verarmten Vicomte Julien de Lamare (Swann Arlaud). Es ist ihre eigene Entscheidung, die Eltern zwingen sie – entgegen den Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts – nicht in eine vorbestimmte Ehe. Jeanne glaubt, in Julien ihre große Liebe gefunden zu haben, doch schon bald wird sie mit dem Geiz, der Hartherzigkeit und Untreue ihres Gatten konfrontiert.

Fast 30 Jahre umfasst diese weibliche Passionsgeschichte. Der Film folgt den Ereignissen nicht chronologisch, sondern verbindet in komplex miteinander verschachtelten Vor- und Rückblenden Erinnerung und Gegenwart zum intensiven Porträt einer Frau, die sich – allen Anfechtungen zum Trotz – nicht mit einer Welt der Heuchelei arrangieren will.

Ein wiederkehrendes Bildmotiv ist der Garten, in dem Jeanne beim Pflanzen und Wässern friedvolle Stunden mit ihrem geliebten, aber allzu passiven Vater verbringt. Der Garten wird symbolhaft zum Zufluchtsort, wo sie auch mit dem Hausmädchen Rosalie, der Nachbarin Gilberte und später mit ihrem Sohn Paul Momente der Ausgelassenheit erlebt.

Im fließenden Übergang dazu kontrastiert Brizé Bilder des Aufruhrs – Jeanne, die im nächtlichen Regen vor Julien flüchtet, fast wie zwei Gespenster – und der Trauer, wenn die gealterte Jeanne mit verdunkeltem Gesicht an einem matschigen Wegrand steht. In einer Welt rigider Erziehungsvorstellungen und bigotter Kirchenmänner hat eine reine Seele wie diese Frau keine Chance.

Zu einer Schlüsselszene wird ihre Beichte bei dem neuen Pfarrer, dem sie erzählt, dass Julien sie mit Gilberte betrügt. Der Geistliche will sie zwingen, Gilbertes Mann zu informieren. Jeanne weigert sich, weil sie weiß, dass sie damit eine Katastrophe verursachen würde, für die dann der Inquisitor selbst sorgt. Und wie junge Menschen von einem rigiden Schulsystem auf einen Weg gezwungen werden, der sie zum Scheitern verurteilt, wird an Paul erschütternd deutlich.

Obwohl die kränkelnde, am Ende hochverschuldete Jeanne immer mehr verbittert, ist sie die einzige, die ihrem Gewissen treu bleibt. Glück beschert ihr das nicht, aber ein kleiner Trost bleibt auch für sie. (F/B/119 Min.; das Nürnberger Filmhaus zeigt "Ein Leben" vor dem Bundesstart am 17. Mai)

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