"Eine gefangene Frau": Sklavenleben mitten in Europa

11.10.2018, 08:00 Uhr

© Partisan

Anderthalb Jahre begleitete TuzaRitter ihre Protagonistin bei der Sklavenarbeit in einem ungarischen Mittelstandshaushalt. Marish, die in Wahrheit Edit heißt, ist Anfang 50, sieht mit ihren tiefen Falten und dem eingefallenen Mund aber aus wie 90. Die Zähne hat ihr der vorherige "Arbeitgeber" ausgeschlagen. Eta, bei der sie seit zehn Jahren ohne Lohn schuftet und von der sie außer Tabak für die selbstgedrehten Zigaretten nur Essensreste bekommt, hat den Filmarbeiten – gegen Bezahlung – zugestimmt. Weil sie stolz ist, dass sie sich eine Bedienstete leisten kann und weil sie keinerlei Unrechtsbewusstsein hat.

Im rüden Ton kommandiert sie Marish herum, demütigt sie auch verbal ("Was für eine armselige Frau du bist") und behält ohne Skrupel das Geld ein, das Marish bei der zusätzlichen Nachtarbeit in einer Fabrik verdient. Von Eta, die auch vor Schlägen nicht zurückscheut, wenn Marish unerlaubt das Haus verlässt, sieht man nur die fleischigen Hände und die grell lackierten Fingernägel, während die Kamera immer hautnah bei Marish bleibt und viel von der klaustrophobischen Atmosphäre eines Lebens in Gefangenschaft vermittelt.

Als Zuschauer fragt man sich bald, warum Marish, deren 16-jährige Tochter vor Eta in ein Heim flüchtete, das alles erträgt? Warum sie nicht weggeht? Auch die Regisseurin fragt sie das. "Weil ich nicht weiß, wohin. Weil ich niemanden habe, der mir hilft", antwortet Marish mit Tränen in den Augen. Und Tuza-Ritter insistiert nicht. Indem sie die Grenzen wahrt, die Marish zieht, gibt sie ihr auch ihre Würde zurück. Mit der Filmemacherin an ihrer Seite wagt die geschundene Frau am Ende – zitternd vor Angst – den Weg in die Freiheit, der tatsächlich zu einem Happyend führt.

Notwendige Solidarität

Die Angst und das Nicht-Wissen um institutionelle Hilfe seien für die Betroffenen in Ungarn der Hauptgrund, warum sie sich nur selten trauen, ihrem Sklavendasein zu entkommen, sagte Bernadett Tuza-Ritter nach der Vorstellung beim Weekender des Nürnberger Menschenrechtsfilmfestivals. Mit ihrem Film und ihrem Engagement setzt sie der monströsen Bösartigkeit von Menschen wie Eta ein aufrüttelndes Zeichen der Solidarität entgegen. Wie notwendig das ist, erfährt man im Abspann: Allein in Deutschland leben Schätzungen zufolge 16 000 Menschen in moderner Sklaverei, in Europa sind es 1,2 Millionen. (D/H/89 Min.)

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