"Foxtrot": Im lähmenden Teufelskreis des Krieges

12.7.2018, 08:00 Uhr

© NFP

Noch bevor die drei Soldaten, die gerade an der Tür geklingelt haben, ein Wort sagen, sackt die Frau, die ihnen geöffnet hat, ohnmächtig zu Boden. Die Uniformierten spritzen ihr ein Beruhigungsmittel und wenden sich an den Mann im Flur. Ihr Sohn, Jonathan Feldmann, sei heute Nacht im Einsatz gefallen. Dem knappen "es tut uns sehr leid" folgen nüchterne medizinische Ratschläge. Er müsse jetzt viel Wasser trinken, ein Handy-Alarm werde ihn stündlich daran erinnern. Dann fährt die Kamera hoch, zeigt den unter Schock stehenden Vater Michael von oben auf dem gemusterten Küchenfußboden, der zum schwankenden Abgrund wird.

Fern aller spektakulären Kriegsbilder öffnet "Foxtrot" den Blick auf die Hölle eines Landes, das in einem Teufelskreis feststeckt. Um seinen Schmerz zu betäuben, lässt Michael heißes Wasser über seine Hand laufen, bis die Haut blutig aufplatzt. Wortlos hört er dem Militärrabbiner zu, der ihn schon wenig später über den genauen Ablauf der Trauerfeier informiert, bei der man auch etwas singen könne – "es gibt doch immer den einen Freund mit Gitarre".

Den Trost und die Geschäftigkeit seines herbeigeeilten Bruders kann er kaum ertragen. Als Michael seine demente Mutter im Pflegeheim aufsucht, die seine Worte versteht, aber nicht ihren schrecklichen Sinn, erblickt er durch eine Tür vier alte Paare, die Foxtrott tanzen: Ein Schritt vor, zur Seite, zurück, zur Seite, zum Anfang. Der titelgebende Tanz, bei dem man im Viereck auf der Stelle tritt, wird bei Samuel Maoz zur Metapher für den Zustand seines Landes. Später, an einem ganz anderen Ort, wird sie in einer grandiosen, ekstatischen Szene erneut zitiert.

Bevor der Film an diesen anderen Ort führt, einen gottverlassenen Checkpoint in der Wüste an der Grenze zum Westjordanland, kehren die Soldaten noch einmal zu Jonathans Eltern zurück – um ihnen mitzuteilen, dass es ein Irrtum war. Nicht ihr Sohn, sondern ein Soldat gleichen Namens ist gefallen. Michael, vollkommen außer sich, besteht darauf, dass sie sein Kind nach Hause bringen.

Und wenn die Kamera dann abrupt an jenen Checkpoint springt, wird die ganze Absurdität eines sinnlosen Krieges offenbar. Jonathan ist einer der vier Wachposten. Tagsüber öffnen sie die klapprige Schranke für ein einsam durch die Wüste spazierendes Dromedar, nachts kontrollieren sie palästinensische Autoinsassen, während ihre Blechbehausung jeden Tag ein paar Zentimeter tiefer im Schlamm versinkt. "Alles, was du hier siehst, ist eine Illusion", sagt einer von ihnen. Als dann tatsächlich die Maschinengewehre losrattern, werden die Opfer mit dem Schaufelbagger entsorgt. Auch das Töten – eine Illusion.

In den Bildern und den Geschichten, die hier angerissen werden – einmal auch in einer großartigen Animations-Sequenz – bringt Samuel Maoz all die Tabuthemen seines Landes zum Sprechen: Den Hass und die Traumata, Schuld und Angst und die blinden Flecken in den eigenen Geschichten. Wenn der Film schließlich zu Jonathans Eltern zurückkehrt, hat sich die Spirale des sinnlosen Sterbens erneut weitergedreht. Weit entfernt von der Konstruktion eines versöhnlichen Endes, bleibt als einziger Trost, dass Michael seiner Frau nun zum ersten Mal von den eigenen Dämonen erzählen kann. (IL/D/F/113 Min.)

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