"Körper und Seele": Das Erwachen der Liebe im Schlachthof

21.9.2017, 08:00 Uhr

© Alamode

"Körper und Seele" handelt von zwei Versehrten, der scheuen Maria, die als neue Qualitätskontrolleurin an den Schlachthof kommt und jeden sozialen Kontakt meidet, und Endre, dem hageren Finanzdirektor des Betriebes, der einen gelähmten Arm hat und seine Abende allein vor dem Fernseher verbringt. Mit ihrem distanzierten Verhalten zieht Maria (Alexandra Borbély) den Spott der anderen auf sich, dass sie die Vorschriften überkorrekt befolgt und das Fleisch für zweitklassig erklärt, weil es ein kleines bisschen zu fett ist, bringt ihr zusätzlichen Unmut ein. Nur Endre (Géza Morcsányi), der in seiner stillen Art auf die Moral im Betrieb achtet, erkennt, dass Maria hinter ihrer kühlen Fassade ihre Angst vor den Menschen verbirgt.

Die seelisch Lädierte und der körperlich Lädierte, der mindestens doppelt so alt ist wie sie: Obwohl äußerlich wenig dafür spricht, dass sie zueinander finden, macht Regisseurin Enyedi, die auch das Drehbuch schrieb, sie zu Liebenden, die lange nichts von ihrer Liebe wissen: Beide haben jede Nacht die gleichen Träume, in denen ein Hirsch und eine Hirschkuh den winterlichen Wald auf der Suche nach Nahrung durchstreifen. Nachts sind sie ein Paar, tagsüber Fremde, deren Liebe erst zum Leben erwachen muss.

Die in glasklare Bilder gefassten Träume, in denen man die Kälte, den Wind, den Atem der Tiere förmlich spüren kann, durchziehen den Film wie ein Märchen. Damit Endre und Maria erfahren, wie nahe sie sich im Schlaf sind, erfindet Enyedi einen kleinen Krimiplot: Im Schlachthof wurde potenzsteigerndes "Bullenpulver" gestohlen und auf einer Party missbraucht, die wohl in eine wüste Orgie ausartete. Eine Psychologin (Réka Tenki) soll der Polizei bei den Ermittlungen helfen. Auch Endre und Maria werden nach ihren intimsten Dingen befragt. Wenn die perplexe Psychologin angesichts der gleichen Traumerzählungen erst an einen schlechten Scherz glaubt und dann zunehmend um ihre Contenance ringt, ist das längst nicht die einzige Szene, in der "Körper und Seele" auch hinreißend komisch ist.

Mit größtem Zartgefühl und feinem Humor entführt uns Enyedi in die Welt ihrer autistischen Protagonistin, die nichts vergisst und ihre Dialoge mit Endre am Küchentisch mit Salz- und Pfefferstreuer Satz für Satz nachspielt. Auf Rat ihres alten Kindertherapeuten (zu einem anderen will sie nicht wechseln) versucht sie, Berührungen zuzulassen – und sei’s erstmal der Kartoffelbrei, in den sie ihre Hand drückt. Auf der Suche nach "Musik für Liebende" hört sie sich einen halben Tag lang CDs in einem Laden an, nur ein einziger Song, den ihr die Verkäuferin empfiehlt, löst Gefühle in ihr aus. Doch nach und nach öffnet sich Maria den Menschen und Endre, mit dem sie zweimal platonisch die Nacht verbringt, damit sie sich bei ihren Träumen auch körperlich nahe sind.

Ort der Ehrlichkeit

Enyedis Film ist von bezwingender Sinnlichkeit noch in den kleinsten Alltagsbeobachtungen. Den Tieren begegnet sie dabei mit ebensoviel Empathie wie ihren Figuren. Wenn sie das Schlachten einer Kuh zeigt, ist das brutal umso mehr, als wir dem Geschöpf zuvor direkt in die Augen schauen, bildet aber auch schlicht die professionelle Routine ab.

Den Schlachthof habe sie gewählt, weil er ein Ort der Ehrlichkeit sei, sagte die Regisseurin auf der Berlinale. "Es gibt zu viel Heuchelei in der westlichen Gesellschaft, wir essen Steak und wollen nicht wissen, woher es kommt." Mit der Geschichte von Endre und Maria, deren zartes Happy-End ein Aufbruch ist, der auch viel Mut erfordert, holt der Film die Menschlichkeit an diesen Schauplatz des Tötens zurück. Und das Gesicht von Alexandra Borbély wird man lange nicht vergessen. (H/116 Min.)

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