"Leanders letzte Reise": Aufbruch in die Vergangenheit

21.9.2017, 08:00 Uhr

© Tobis

Als seine Frau stirbt, packt Eduard Leander (Jürgen Prochnow) seine Koffer und steigt in den Zug nach Kiew. Seine Enkelin Adele (Petra Schmidt-Schaller) soll ihn von der Reise abhalten. Aber alle Versuche, den störrischen Alten aus dem Zug zu bekommen, scheitern, und so begleitet Adele den 92-Jährigen in die Ukraine.

Als sie die Grenze passieren, scheint Eduard aufzublühen. Die vorbeifliegende Landschaft weckt Erinnerungen an die Zeit, die er hier als Wehrmachtssoldat verbracht hat. Im Zug lernen die beiden den lebenslustigen Lew (Tambet Tuisk) kennen, ein Ukrainer mit russischen Wurzeln. Der nimmt sie in Kiew mit zu seiner Familie, wo die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg genauso präsent sind wie der ganz gegenwärtige Krieg, der sich zwischen Russland und der Ukraine im Jahre 2014 anzubahnen beginnt. Aber Leander lässt sich von der Krise im Land, den Straßensperren und der Militärpräsenz nicht abschrecken. Er ist fest entschlossen, in jenes Dorf zurückzukehren, in dem er als Kommandant eines Kosakenregiments stationiert war.

Regisseur Nick Baker-Montey schickt seinen tattrigen Helden, der den nahen Tod vor Augen hat, auf eine therapeutische Reise in die Vergangenheit. Die Suche nach der frühen Liebe, die er hier einst fand und die in die Mühlen der Weltgeschichte geriet, mischt sich mit den Schuldgefühlen und Sühnebedürfnissen des ehemaligen Wehrmachtskommandanten.

Dem Film ist an einem eindimensionalen Täterporträt nicht gelegen. Vielmehr verweist er auf die komplexen Grenzverläufe und Schuldverstrickungen vor dem Hintergrund der ukrainischen Geschichte, wo während des Zweiten Weltkrieges ukrainische Milizen an der Seite der NS-Truppen gegen die Sowjets kämpften. Die traumatischen Kriegserfahrungen prägen auf beiden Seiten nicht nur das familiäre Schicksal über Generationen hinweg, sondern wirken direkt in die politische Gegenwart hinein, wo alte Fronten neu aufgerissen und für manipulative Zwecke benutzt werden.

Teilweise wirkt der Film in seiner Dramaturgie etwas holprig und in seinen Wendungen überstürzt. Aber das ist letztlich nur die Konsequenz der komplizierten historischen und politischen Verhältnisse, auf die sich diese persönliche, nah an den Figuren erzählte Geschichte in all ihrer Widersprüchlichkeit einlässt. (D/107 Min.)

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