"Loveless": In einer Welt der Egoisten

15.3.2018, 09:00 Uhr

© Alpenrepublik/dpa

Wenn Zhenya (Maryanna Spivak) mal den Blick von ihrem Smartphone nimmt, dann nur um ihren 12-jährigen Sohn Alyosha anzuschnauzen oder sich mit ihrem Gatten Boris (Alexey Rozia) zu streiten. Letzterer ist selten daheim in der Eigentumswohnung, stattdessen sitzt er entweder im vollgestopften Großraumbüro seines streng orthodox-gläubigen Arbeitgebers oder bei seiner bereits schwangeren Freundin, deren Existenz unter keinen Umständen in der Firma bekannt werden darf. Denn dann war’s das mit der guten, sicheren Stellung. Scheinheilige Firmenphilosophien und Geldgier gehören im modernen Moskau genauso zusammen wie im Westen.

Dort ist es allerdings selten, dass sich beide Elternteile, statt sich bis auf’s Messer um das Sorgerecht zu streiten, gemeinsam Gedanken machen, was sie mit dem Jungen nach ihrer Trennung anfangen sollen. In ein Internat, und dann kommt er sowieso zum Militär, meint Mutti Zhenya, während Alyosha sich vor Verzweiflung schlotternd hinter der Tür versteckt.

Giftende Mutter

Man kommt nicht so recht dahinter, welche "Moral von der Geschicht'" der Regisseur für sein Publikum anpeilt, während er auf ruhige und manchmal sehr ausführliche Weise die Gründe für die menschlichen Defizite seines Personals ausbreitet. Als nämlich Alyosha verschwindet und die Polizei und ein privat agierender Suchtrupp alarmiert werden müssen, ist ein Besuch bei Zhenyas Mutter fällig. Dabei wird recht klar, warum die junge Frau aus ihrer Ehe und Mutterschaft heraus will, um den bereits geangelten reifen Unternehmer aus den höheren Einkommenssphären zu beglücken. Die Härte dazu hat ihr die in ihrer Datsche vor sich hin giftende Mutter schon als Teenager eingetrichtert, doch damals wollte sie ja nicht hören, sondern nur weg von zuhause. Ein allgemein weitverbreitetes russisches Problem, so scheint es.

Geld verdirbt nicht jeden

Gegen Mitte des Films tritt die Dramatik elterlicher Zwistigkeiten zurück zugunsten der optisch reichhaltigeren Szenarien der organisierten Suche nach dem Jungen. In der Not vereint, beteiligt sich auch der reiche Geliebte von Zhenya. Merke: Geld verdirbt doch nicht jeden. Aber auch in den äußerst bildmächtig vor sich hin bröselnden Ruinen des Postsozialismus, in schimmeligen Treppenhäusern und frühwinterlichen Flussauen inmitten der Wohncontainer der Moskauer Vorstadt ist kein Ausreißer zu finden.

Die Tristesse satter Bürgerlichkeit, die entweder an familiärer Enge leidet wie Boris und sein neuer Anhang, oder an luxuriöser Entfremdung, wie in Zhenyas Unternehmervilla, ist ein recht kümmerliches Fazit dieser traurigen Ausreißergeschichte. (Russlang/ F/D/B/ 134 Min.)

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