"Moonlight": Wie man zu dem wird, der man ist

9.3.2017, 08:00 Uhr

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Gleich in einer der ersten Szenen wird klar, warum man sich "Moonlight" besser im Original (gegebenenfalls mit Untertiteln) ansehen sollte: Da sieht man den Crack-Dealer Juan auf der Straße mit einem seiner Revier-Verkäufer verhandeln. Ein cooler, vernuschelter Slang-Dialog zwischen zwei Kleinkriminellen, der auf Amerikanisch so viel Authentizität und Atmosphäre vermittelt, dass man gar nicht wissen möchte, wie das wohl in deutscher Übersetzung klingt. Dass die Szene lichtdurchflutet statt düster ist und die beiden Dealer gar nicht mal unsympathisch wirken, ist bereits ein erstes Indiz dafür, dass hier Klischees zwar vorkommen, aber auch aufgebrochen und weiterentwickelt werden.

Juan ist - wie die übrigen zentralen Protagonisten - eine erfrischend ambivalente Figur, cool, aber auch warmherzig und humorvoll. Mahershala Ali hat für diese Rolle verdientermaßen den Oscar als bester Nebendarsteller bekommen. Hauptfigur ist aber sein Schützling Chiron. Von dessen schwulem Coming out und Erwachsenwerden in der "schwarzen" Sozialbausiedlung Liberty City in Miami erzählt der Film in drei Kapiteln und mit drei verschiedenen Schauspielern.

Chiron (Alex Hibbert) wächst in diesem Ghetto-Milieu bei seiner Mutter auf. Die junge Frau (toll: Naomie Harris) ist drogenabhängig, aber sie liebt ihren Sohn aufrichtig. Trotzdem ist der schmächtige, wortkarge Chiron auf sich gestellt, er wird von seinen Mitschülern drangsaliert, sie nennen ihn "Little". Nur bei Juan und dessen Freundin findet er so etwas wie geordnete Familienverhältnisse. In einer wunderbar gefilmten, anrührenden Szene bringt Juan ihm im Meer das Schwimmen bei, dabei spiegeln sich Vertrauen und Freundschaft.

Als Teenager macht der Außenseiter (nun gespielt von Ashton Sander) seine erste homosexuelle Erfahrung, was der Film in sensiblen Bildern mehr vermittelt als offensiv zeigt. Und er trifft nach einer schweren Demütigung eine Entscheidung, die sein Leben verändern wird. Im letzten Kapitel ist Chiron ein muskelbepackter junger Mann mit Goldkettchen (Trevante Rhodes), der sich "Black" nennt und wie einst Juan als Drogendealer arbeitet. Fast in Echtzeit ist dieser dritte Teil aufgenommen. So kann man hautnah nachspüren, wie die harte Schale der Männlichkeit aufbricht, die sich Black angesichts seiner Lebensumstände zugelegt hat - etwa bei einer Begegnung mit seiner Mutter oder als er nach vielen Jahren seinen Jugendfreund wiedertrifft...

Der 37-jährige Regisseur Barry Jenkins, selbst unter erschwerten Bedingungen in Liberty City aufgewachsen, hat "Moonlight" nach einem autobiografischen Stück des Dramatikers Tarell Alvin McCraney gedreht - was neben den durchweg überzeugenden Schauspielern sicher dazu beigetragen hat, dass die Geschichte so glaubhaft und lebensecht daherkommt.

Besonders ist der ruhige Film, der ohne weiße Darsteller auskommt, auch durch die Kamera von James Laxton, die ungewöhnliche Perspektiven findet, mit Unschärfen und Kontrasten arbeitet - und schließlich die Figuren in Beziehung zueinander setzt. Denn letztlich geht es hier einfühlsam, sinnlich, aber kitschfrei um das Suchen und Finden von Liebe, Nähe und Freundschaft. Da ist "Moonlight" ganz allgemeingültig. Unbedingt sehenswert! (USA/111 Min.; Gespräch mit dem Amerikanisten Stephen Kötzing heute, 19-Uhr-Vorstellung, im Nürnberger Casablanca)

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