"Paradies": Menschliche Abgründe

27.7.2017, 09:00 Uhr

© Alpenrepublik

Der russische Regisseur Andrei Konchalowsky stellt in seinem 2016 mit dem Silbernen Löwen von Venedig ausgezeichneten Film "Paradies" steile Thesen über menschliche Abgründe auf.

Es dauert eine ganze Weile, bis man begreift, das die drei Personen, die einem in Schwarzweiß und im Format 4:3 in einer Art Verhörsituation Auskunft über sich selbst geben, vermutlich tot sind. Da ist zunächst Jules (Philippe Duquesne), ehemals tadelloser Familienvater und hoher Pariser Beamter, der von Amts wegen mit der Gestapo kollaboriert und im Wald neben seinem ahnungslosen Filius von der Résistance ins Genick geschossen wird. Die russische Gräfin Olga (Julia Vysotskaya), der Jules zuvor Vorzugsbehandlung für sexuelle Gefälligkeiten versprochen hat, wird deshalb ins KZ deportiert.

Verhörsituationen und Spielfilmhandlungen quasi zur Illustration wechseln sich ab und präsentieren nun den Adelsspross Helmut (Christian Clauß), der seine Verzweiflung während der Weimarer Republik und sein Erweckungserlebnis beim Eintritt in die NSDAP 1933 schildert. Ein Tschechow-Doktorand, der, wie wenig später zu sehen ist, erschaudert, als ihm Himmler (Victor Sukhorukov) den Ring der SS-Elite an den Finger steckt und davon faselt, dass der "Führer" nach dem Endsieg einen Nachfolger suche, denn er wolle sich wieder der Malerei widmen. Hier verirrt sich der Regisseur zusammen mit der Co-Autorin Elena Kiselewa in unfreiwillige Komik.

Flamme aus Ferientagen

So richtig straff an den Haaren herbeigezogen wird die Story dann allerdings erst, als Helmut, schon etwas mürbe von den polnischen und ukrainischen Vernichtungskommandos, als Finanzrevisor just in dem KZ landet, in dem auch die Gräfin Olga um ihr Leben kämpft. Helmut bedroht den brutalen Kommandanten Krause (als Gerd-Fröbe-Ersatz: Peter Kurth) wegen Diebstählen aus der KZ-Bilanzbeute und erkennt in Olga eine frühere Flamme aus unbeschwerten Ferientagen in der Toskana. Er macht sie zu seiner persönlichen Haushälterin. Das Tor aus dem Vernichtungslager scheint nun offen, die Befreiungsarmeen vor der Tür, die Pässe in die Schweiz gültig, da meldet sich das Gewissen der beiden Liebenden...

Aus verschiedenen Gründen, wie anzunehmen ist, denn Olga kriegt sogar das göttliche Okay aus dem Off. Eine toll besetzte, hoch kreativ und dreisprachig in Szene gesetzte Soap aus der Welt der Massenmörder und ihrer Opfer. (R/D/131 Min.)

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