"Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes": Plantagenaufstand

8.6.2017, 08:00 Uhr

© Grandfilm

Der 32-Jährige spielt in der "politischen Komödie mit magischen Wendungen" selbst einen jungen Filmemacher namens Julian. Mittellos und ohne Förderung muss er als Erntehelfer auf einer Apfelplantage im Havelland antreten. Doch weil er mit dieser Order seines Sozialarbeiters bei der angehimmelten Kanadierin Camille kaum Eindruck schinden kann, erzählt er ihr, er wolle für einen kommunistischen Märchenfilm recherchieren, in dem sie die Hauptrolle spielen soll.

Also begleitet ihn Camille auf die "Oklahoma"-Plantage, stürzt sich mit Feuereifer in die Recherche und schließt freundschaftliche Kontakte zu dem skurrilen Saisonarbeiter-Völkchen – als da etwa wären die entlassenen Museumswärter Hong und Sancho, ein finsterer Russe, ein desillusionierter Ossi und später noch ein stummer Mönch, der den Weg ins gelobte Land weist.

Narren sind sie alle, es wird viel geredet, gestritten und debattiert, es werden Lenin, Marx und der Philosoph Deleuze zitiert. Dass das alles nicht neunmalklug rüberkommt, sondern – im Gegenteil – sehr, sehr komisch, hat mit dem hinreißend schrägen Figuren-Panoptikum (weitgehend Freunde des Regisseurs) zu tun und mit Radlmaiers überbordendem Ideenreichtum, der auch vor aberwitzigen Albernheiten nicht halt macht.

Anders als Camille erweist sich der Möchtegern-Revolutionär Julian in Sachen Solidarität eher als ängstlicher Zauderer. Als die strenge Plantagen-Chefin Frau Gottlieb, die unter Hinweis auf den Weltmarkt immer neue abenteuerliche Ernte-Sollzahlen vorgibt und schließlich scheinbar tot umfällt, proben die Ausgebeuteten den Aufstand. Was Julian hilflos mit "Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Keiner von uns ist zu irgendwas in der Lage" kommentiert. Denkste!

Auch wenn sich der Kommunismus ohne Kommunisten hier als Utopie erweist, der Traum vom antikapitalistischen Gegenmodell ist deshalb nicht ausgeträumt. Der tollste Clou gelingt Radlmaier am Ende, wenn er sich mit eben diesem Film in Venedig feiern lässt und sich als karrierebewusster Opportunist offenbart, der in Wahrheit nicht an die Veränderbarkeit der Verhältnisse glaubt.

Der Regisseur, daran lässt diese rasante Film-im-Film-Komödie keinen Zweifel, meint es ernst mit der Idee von einer besseren Welt und fasst sich an die eigene Nase, wenn er den Hipster-Filmemacher selbstironisch als bürgerlichen Windhund entlarvt – allerdings als einen lernfähigen. Sehr sehenswert. (D/I/99 Min.; Julian Radlmaier kommt am 10. Juni zur 20-Uhr-Vorstellung ins Nürnberger Filmhaus und am 12. Juni, 19.30 Uhr, in den Fürther Uferpalast)

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