"The Commuter": Suche nach der Fremden im Zug

11.1.2018, 09:00 Uhr

© StudioCanal/dpa

Adrenalinhaltiges Kino ist Collet-Serra ganz klar wichtiger als eine plausible Story. Trotzdem verwendet er viel Fantasie auf seine Plotkonstruktionen, die in jedem Fall vielschichtiger sind als die Masse der vorformatierten Actionware. So erzählt er in "The Commuter" abseits des Thriller-Geschehens sehr realitätsnah auch von der gebeutelten amerikanischen Mittelschicht, die von den Finanzkrisen und einer nur noch am Profit orientierten Arbeitswelt in die Enge getrieben wird.

Michael (Liam Neeson in seinem vierten Einsatz für den Spanier nach "Unknown Identity", "Non-Stop" und "Run all Night") hat seinen Polizistenjob vor zehn Jahren gegen eine Anstellung bei einem New Yorker Versicherungskonzern getauscht, der ihm nun Knall auf Fall kündigt. Sein "Gehaltspaket" sei leider zu hoch für das, was er erwirtschaftet. Glücklich verheiratet, aber mit hohen Hypothekenschulden belastet, steht plötzlich die finanzielle Zukunft seiner Familie in Frage. Doch dann wird Michael im Pendlerzug zurück in die Vorstadt von einer eleganten Frau namens Joanna (Vera Farmiga) angesprochen. Sie verspricht ihm eine Belohnung von 100 000 Dollar, wenn er eine Person unter den Passagieren ausfindig macht, von der nicht mehr als der (falsche) Name und der Zielbahnhof bekannt ist. Ein dubioses, für den angeschlagenen Mann aber allzu verlockendes Angebot. Als ihm klar wird, dass es nicht nur für die gesuchte Person, sondern auch für ihn und seine Familie um Leben und Tod geht, ist es zu spät.

Das wirkt alles reichlich konstruiert, ebenso wie die unsichtbare Komplett-Überwachung, unter der Michael fortan steht. Doch Collet-Serra weiß, wie man den Zuschauer in Atem hält. Das funktioniert natürlich durch die spannungsgeladenen Actionszenen, aber auch durch das moralische Dilemma, in das sich Michael geworfen sieht, und durch die markante Typenzeichnung der Mitreisenden.

Fiebrige Suche

Dem 65-jährigen Iren Liam Neeson nimmt man den treusorgenden Familienvater, der in der Falle sitzt und verzweifelt nach einem Ausweg sucht, ebenso ab, wie den noch immer schlagkräftigen Kämpfer. Und mit Kameramann Paul Cameron hat Collet-Serra einen begnadeten Bilderzauberer an seiner Seite.

Suggestive Zooms und hektische Kamerafahrten verleihen Michaels fiebriger Suche nach dem oder der Fremden und seinen Auseinandersetzungen mit den Passagieren eine nervenzerrende Intensität. Einmal saust die Kamera in schwindelerregendem Tempo weit zurück durch die engen Gänge, was fast einen surrealen Moment erzeugt. Und meisterhaft ist die Eröffnungssequenz, die zehn Jahre Pendleralltag mit den immer gleichen Abläufen und Begegnungen auf wenige Minuten verdichtet.

Die grandiose Kamera, eine packende Inszenierung und tolle Schauspieler gleichen manche unglaubwürdige Plotwendung und den überzogenenen Showdown locker aus. Für Freunde gradliniger Action-Thriller bietet "The Commuter" beste Unterhaltung. (USA/105 Min.)

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