"The Square": Läuterung eines Machtmenschen

22.10.2017, 21:52 Uhr

© Alamode

Etwa nach der Hälfte des Films, die voller entlarvend komischer Momente steckt, gibt es eine Sequenz, ab der man nicht mehr lacht, sondern sich mucksmäuschenstill im Kinosessel verkriecht und nur noch gebannt zuschaut. In dieser Sequenz versetzt ein im Gorilla-Habitus auftretender Performer die Gäste eines Gala-Dinners nach verhaltenem Amüsement in Todesangst, reißt eine Frau zu Boden, vergewaltigt sie fast – und es dauert lange, bis einer ihr zu Hilfe eilt und einen Sturm der Gewalt entfesselt.

Auf krasse Weise wird hier vor Augen geführt, wie brüchig der Firnis der Menschlichkeit ist. Deutlich beiläufiger zeigt der schwedische Regisseur Ruben Östlund das immer wieder in seinem Film, wenn er Bettler und Obdachlose auf Stockholms Straßen ins Bild rückt, an denen die Passanten achtlos vorbeigehen.

Das neu erworbene Kunstwerk "The Square", das der supereloquente Museumskurator Christian (Claes Bang) der Öffentlichkeit vorstellen will, wirkt da auf den ersten Blick wie ein humanistischer Gegenentwurf. Das Rechteck markiert auf dem Museumsvorplatz einen solidarischen Ort, an dem Fürsorge und Vertrauen herrschen sollen. Doch geht es in diesem Kunstzirkus nicht um Inhalt und Moral, sondern um den maximalen Hype. Während die gezielt auf Provokation ausgerichtete Marketing-Kampagne für den "Square" heftigst aus dem Ruder läuft, wird Christian noch mit anderen Problemen konfrontiert, wobei die offensive amerikanische Journalistin Anne (Elisabeth Moss) nur der Anfang ist. Die Szenen zwischen Moss und Bang sind brillante Dialogstücke, bei denen die Hohlheit abgehobener Kunstdiskurse bloßgelegt wird und Christian sich in seiner selbstgewissen Männlichkeit zunehmend bedroht sieht.

Ähnlich wie in seinem Familiendrama "Höhere Gewalt" entwirft Östlund auch in "The Square" das Psychogramm eines Mannes, der den Anfechtungen des Lebens außerhalb seiner elitären Welt hilflos gegenübersteht. Eines Morgens wird Christian auf einem belebten Platz Opfer von Trickdieben, die ihm Handy und Brieftasche stehlen. Sein Assistent ortet das Handy in einem schäbigen Mietshaus am Stadtrand, wo der Kurator nachts Drohbriefe durch die Türschlitze sämtlicher Wohnungen wirft. Mit Erfolg, er erhält seine Sachen zurück. Dass er mit der Aktion jedem Adressaten unterstellt hat, ein Krimineller zu sein, wird ihm erst bewusst, als ein kleiner Junge, der nicht der Dieb war, von seinen Eltern aber als solcher bestraft wurde, bei Christian auftaucht und eine Entschuldigung verlangt – andernfalls gebe es Chaos.

Leise Hilferufe

Es ist eine völlig unverhoffte Begegnung, die die scheinbare moralische Überlegenheit des aufgeklärten Kulturmenschen mit einem Satz zu Fall bringt. Anfangs versucht Christian, den Jungen zu ignorieren, doch dessen nicht ortbare, leise Hilferufe verfolgen ihn. Erstmals kann sich der Museumskurator nicht mehr auf seine eingeübte Rolle verlassen, sondern muss als Mensch für sein Verhalten einstehen.

Östlund eröffnet ihm diese Chance auf sehr nachdenklich stimmende Weise. Mitmenschlichkeit und Verantwortung erschöpfen sich nicht in wohl gesetzten Worten und Posen, sondern verlangen konkretes Handeln. Das ist die sehr ernste Botschaft dieses Films, der im Gewand einer messerscharfen, klugen Satire von den großen sozialen Ungleichgewichten in unserer Gesellschaft erzählt. Wie Fürsorge und Vertrauen ganz selbstverständlich geübt werden, das macht Christian am Ende seine ältere Tochter mit ihrer Chearleader-Gruppe vor. (S/D/F/DK/145 Minuten)

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