"Widows": Die Schonzeit ist zu Ende

6.12.2018, 09:00 Uhr

© Fox

In der Ouvertüre mündet Harmonie in höchste Brutalität. Und eigentlich wird damit die Stimmung des ganzen Films vorweggenommen. Erst sieht man Veronica (Viola Davis) und Harry (Liam Neeson) als zärtliches Paar, gleich darauf geht nach einem Raubüberfall ein Van in Flammen auf. Die vier Gangster, einer davon ist Harry, kommen dabei ums Leben.

Sie hinterlassen vier Witwen, die von den Machenschaften ihrer Männer wenig bis nichts ahnten. Abgesehen von der gut situierten Veronica hatten sie mit ihren Kerlen ohnehin mehr Sorgen als Spaß. Das zeigt der Film in kurzen Zwischenschnitten. Doch nach dem gescheiterten Coup ist ihr Leben akut gefährdet. Denn im Van des Räuber-Quartetts verbrannten zwei Millionen Dollar, geklaut aus der Kasse des schwarzen Polit-Newcomers Jamal Manning, der in einem Brennpunktviertel Chicagos für den Stadtrat kandidiert. Der Wahlkampf mit seinem weißen, aber nicht lupenreinen Rivalen ist in vollem Gang. Nicht nur deshalb will er seine Dollars wiederhaben.

Es dauert nicht lange, bis Manning und seine Schläger Veronica unter Druck setzen, die "Schulden" zurückzuzahlen. So gerät die Afroamerikanerin in Lebensgefahr. Als sie auf die minutiösen Planungen stößt, die Harry für einen künftigen Coup ausgearbeitet hat, beschließt sie, ihn in die Tat umzusetzen...

Dafür gewinnt sie zwei der anderen Witwen sowie eine taffe junge Frau aus der Unterschicht, die den Fluchtwagen steuern soll.

Nein, hier geht es mitnichten um eine neue Variante von Ocean’s 8, 11, 12 oder 13. Steve McQueen ("12 Years A Slave", "Shame"), der den Film lose nach einer britischen Serie aus den 80er Jahren gedreht hat, schuf keine Komödie. Sondern ein Drama, das die Action pflegt, aber nicht über alles stellt. In "Widows", dessen reißerischer deutscher Untertitel "Tödliche Witwen" auf die falsche Spur führt, steckt eine Menge mehr. Es geht um Rassismus, Rassen- und Klassenunterschiede ebenso wie um Sexismus, doppeltes Spiel und schamlos korrupte Polit-Verhältnisse - auf schwarzer und weißer Seite. Insofern ist der Film auch als politischer Kommentar auf amerikanische Verhältnisse zu sehen. Steve McQueen bekommt das alles scheinbar mühelos unter einen Hut.

Frei und selbstbestimmt

Ins Zentrum stellt er aber die grundverschiedenen Frauen, die sich dazu entschließen, ihre Existenz mit harten Bandagen zu verteidigen. Nicht etwa weil sie Superwomen sind, sondern weil sie es müssen. "Wir haben drei Tage, um den Eindruck zu machen, wir wären Männer", sagt die von Viola Davis ungemein intensiv gespielte Veronica einmal. Dass die Witwen, die sich nicht mal sonderlich leiden können, durch ihren Coup zu Freiheit und Selbstbestimmtheit finden, lässt den Film nebenbei wie einen - ganz und gar unaufdringlichen - Beitrag zur #MeToo-Debatte erscheinen.

"Widows" ist zweifellos ein harter Film. Doch er lässt - bei aller Komplexität - Raum für Zwischentöne. Mit toll gespielten, alles andere als eindimensionalen Charakteren, einem gut geschnittenen, wenn auch nicht ganz realitätsnahen Plot und einem überraschenden Twist könnte er Oscar-Chancen haben. (USA/130 Min.)

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