Große Sorgen am Hindukusch

30.7.2012, 09:00 Uhr
Große Sorgen am Hindukusch

© Gerullis

Herr Staatssekretär, die Anschläge in Afghanistan werden wieder mehr. Was hinterlassen wir, wenn die Isaf-Kräfte bis zum Jahr 2014 abziehen?

Große Sorgen am Hindukusch

© dpa

Schmidt: Die Qualität der Anschläge hat sich schon verändert. Sie sind nicht mehr so organisiert und strukturiert, wie das vor zwei Jahren noch der Fall war. So gesehen ist es ein Hoffnungszeichen, dass die Vernetzung der gegnerischen Kräfte nicht weiter zunimmt.

Im Juni gab es aber so viele Angriffe wie seit Sommer 2010 nicht mehr.


Schmidt: Das ist aber saisonbedingt, das ist die übliche Frühjahrsoffensive. Die Zahl der Angriffe auf die Isaf-Truppen ist dagegen in ganz Afghanistan zurückgegangen. Die Attacken auf afghanische Truppen nehmen aber wohl zu.

Und was hinterlassen wir?

Schmidt: Wir dürfen in den nächsten zwei Jahren nicht der Koffer-packen-Mentalität verfallen. Wir müssen erreichen, dass die afghanischen Kräfte so weit ausgestattet, ausgebildet und motiviert sind, dass sie die Sicherheit organisieren können. Bei der Qualität der afghanischen Kräfte hat sich sehr viel Positives getan. Letztlich wird sich das aber erst nach 2014 zeigen können.

Auch der Abzug wird überaus kompliziert werden. Pakistan hat gerade die Nachschubrouten für die Nato geschlossen. Das könnte auch beim Abzug so sein. Was dann?

Schmidt: Wir haben eine Zusage von pakistanischer Seite, die Routen wieder zur Verfügung zu stellen. Das muss aber noch ausverhandelt werden. Da wir diese Routen aber nicht verwenden müssen und im Wesentlichen über den Norden abziehen werden, vermute ich, dass wir noch „Kundschaft“ bekommen, die auch über den Norden abziehen will.

Der Abzug über Usbekistan ist aber auch problematisch.

Schmidt: Von der Sicherheitssituation her ist er bei weitem nicht so problematisch wie der durch Pakistan. Der Landtransport durch die Russische Föderation würde im litauischen Klaipeda enden, in anderen Fällen in der lettischen Hauptstadt Riga, also in zwei Ostseehäfen. Für uns wäre das der relativ sicherste Weg. Dazu brauchen wir noch Lufttransport.

Auch die Abziehenden sind aber in Gefahr, angegriffen zu werden.

Schmidt: Es ist in der Tat notwendig, dass wir den Abzug absichern. Da wird viel wertvolles Material transportiert. Da kann man sich nicht nur auf das Ölen der Fahrzeuge konzentrieren. Da müssen auch Sicherheitskomponenten dabei sein.

Im Bundestag wird schon darüber diskutiert, dass für den Abzug ein eigenes Mandat notwendig sein könnte — mit zusätzlichen Soldaten.

Schmidt:
Die Frage, ob wir ein eigenes Abzugsmandat brauchen oder ob wir das aus dem klassischen Isaf-Mandat heraus machen, ist noch nicht entschieden. Ich neige dazu, dass das Isaf-Mandat ausreichen wird.

Das heißt, wir bräuchten keine zusätzlichen Soldaten ...

Schmidt: Zahlenmäßig ist das mit der jetzigen Obergrenze von 4900 Soldaten machbar. Wie dann die Reduzierung beim Abzug sein wird, das kann man erst im Herbst entscheiden, wenn wir wissen, wie viele Sicherungskräfte wir brauchen. Die Holländer haben für den Abzug ihrer 1950 Soldaten ein Drittel an zusätzlichen Sicherheitskräften gebraucht. Ich sehe nicht, dass das bei uns der Fall ist. Wir haben einen sehr viel größeren Umschlag, aber auch einen größeren Rationalisierungseffekt. Wir dürfen uns allerdings auf keinen Fall die Einstellung erlauben: Wir ziehen jetzt ab und der Letzte gibt den Schlüssel ab. Wir haben im Kosovo 2004 mit einer solchen Mentalität eine ganz schwere Zeit von brennenden Häusern und Klöstern und Toten erlebt.

Die afghanische Regierung ist weiter schwach. Präsident Karsai hat gerade eingeräumt, dass es dort viel Korruption gebe. Wie soll da politische Stärke entstehen?

Schmidt:
Das ist eine der größten Sorgen. Ich möchte dem afghanischen Präsidenten nicht widersprechen. Dieser Eindruck treibt uns seit längerer Zeit um. Von lobenswerten Ausnahmen abgesehen ist Nepotismus ein großes Problem. Der nötige Impuls muss aus Afghanistan heraus kommen. Ich habe kürzlich den früheren Finanzminister und heutigen Leiter des Instituts für Staatseffektivität, Ashraf Ghani, getroffen, der das deutlich anspricht, der aber auch sagt: Das ist machbar. Es gibt beeindruckende Persönlichkeiten, an deren Händen nichts klebt. Aber ich habe die Befürchtung, dass die in ihrer Durchsetzungsfähigkeit beschränkt sind.

Die Gesprächsversuche mit den Taliban haben bisher wenig gebracht. Sie können im Grunde abwarten, bis die Isaf-Kräfte weg sind und dann erneut versuchen, die Macht am Hindukusch an sich zu reißen...

Schmidt:
...wenn sie sich einig wären. Allerdings wäre die Vorstellung, dass sich das in Verhandlungen am runden Tisch klären lässt, unrealistisch. Seit der Ermordung des afghanischen Ex-Präsidenten und Vermittlers Burhanuddin Rabbani ist wenig passiert. Wir haben aber den Eindruck, dass sich die Taliban uneinig sind über die Strategie. Auch das Zusammenwirken der pakistanischen und der afghanischen Taliban ist schwieriger geworden. Da liegt eine Chance drin, wenn es einen starken Präsidenten und ein starkes Parlament gäbe, dass sie zumindest einen Teil der Taliban integrieren könnten.

Das ist jetzt ein frommer Wunsch.

Schmidt: Es ist zugegebenermaßen mehr Hoffung als Erwartung.