Gunzenhausen: Technik-Riesen auf großer Reise

3.5.2016, 06:55 Uhr
Gunzenhausen: Technik-Riesen auf großer Reise

© Wolfgang Dressler

Rund 3700 Einfamilienhäuser könnten mit diesen Stahlkolossen mit einer Leistung von je 30 Megawatt geheizt werden. Tatsächlich wird mit ihrer Hilfe ein ganzes Stadion samt Nebengebäuden und Quartieren mit Wärme und heißem Wasser versorgt. Natürlich, sagt Daniel Gosse, Leiter der Marketingabteilung der Firma Bosch Industriekessel GmbH Gunzenhausen, gibt es in Russland auch eigene Kesselhersteller. Doch passten die Kessel aus Gunzenhausen am besten in das Anforderungsprofil, weshalb sich die Bauherren der Kosmos-Arena in Samara an der Wolga eben für das deutsche Unternehmen entschieden haben.

Eine Investition, die sich trotz des enormen logistischen Aufwands allemal lohnt, ist sich Gosse sicher. Denn bei diesen Dimensionen rechnen sich schon wenige Prozent Energieeinsparung sehr schnell, und die liefert das qualitativ hochwertige Kesselsystem aus Altmühlfranken allemal. Anders als bei einem Auto, das ein bis zwei Liter Sprit pro Tankfüllung spart, hat sich bei solch großen Heizanlagen die Investition innerhalb weniger Jahre amortisiert.

Die gesamte Steuerungstechnik wird bis auf die letzte Schraube gesondert transportiert und vor Ort montiert. Die eigentlichen Kessel aber müssen im Ganzen ausgeliefert werden. Das ist eine Frage der Sicherheit, erläutert Gosse im Gespräch mit dem Altmühl-Boten. In den Kesseln entsteht sehr hoher Druck, dem müssen die Schweißnähte standhalten. Deswegen wird im Werk in Schlungenhof auch mit speziellen Schweißanlagen gearbeitet und das Endprodukt mithilfe von Röntgenbildern genau überprüft.

Stattliche Ausmaße

Zehn Meter lang, fünf Meter hoch, 4,5 Meter breit, das sind die stattlichen Maße der beiden Tieflader mit den für Russland bestimmten Kesseln. Jede enge Kurve, jeder Kreisverkehr wird da zur Herausforderung. „Da muss der Fahrer schon gutes Augenmaß beweisen“ bestätigt Lieselotte Moss, die Leiterin der Exportabwicklung im Gunzenhäuser Boschwerk. Im Zweifel wird ein Straßenschild auch einfach kurzfristig abgeschraubt.

Katastrophal aber können sich unerwartete Baustellen, die die Fahrbahn verengen oder gar eine Umleitung erfordern, auswirken. Unter anderem deshalb benötigen Schwertransporte auch eine Genehmigung der zuständigen Landratsämter. Solange die nicht vorliegt, „geht der Kessel nirgendwohin“, berichtet Lieselotte Moss. Die Abstimmung der Route mit den zuständigen Landratsämtern ist unerlässlich, die Zusammenarbeit mit der Weißenburger und Rother Behörde funktioniert dabei hervorragend, unterstreichen Gosse und Moss.

Die Autobahn ist nicht unbedingt die erste Wahl bei der Streckenplanung. Ein Schwertransport kann ja bereits an einer Brücke mit zu geringer Durchfahrtshöhe scheitern. Deshalb nehmen die ganz großen Kessel meistens den „kürzesten Weg zum Wasser“, beschreibt es Lieselotte Moss. Und der führt von Schlungenhof nach Roth. Über die Staatsstraße 2222 und die B2 sind es rund 40 Kilometer bis zum Kanalhafen „an der Lände“. Diese Route funktioniert gut und hat sich bewährt. Doch im vergangenen Jahr war sie wegen diverser Bauarbeiten – unter anderem an dem Kreisel bei Pleinfeld – für längere Zeit gesperrt. Ausgerechnet in einem Jahr, in dem von Schlungenhof aus „im großen Bereich viel gerollt ist“. Rund 25 solcher Schwertransporte galt es, an die Wasserstraße bei Roth zu bringen, auf allen Routen zusammen waren es sogar über 100. In enger Zusammenarbeit mit dem Landratsamt und weiteren Beteiligten wurde eine zweite Route ausgetüftelt. Sie führte übers Spalter Hügelland, und gerade in der Hopfenstadt wurde es teilweise haarig. Da war in den engen Kurven Millimeterarbeit gefragt.

In der Nacht auf Tour

Ziel ist es, die Beeinträchtigungen für die Bevölkerung möglichst gering zu halten. Deshalb gehen solche Transporte meistens immer außerhalb des Berufsverkehrs über die Bühne, erläuterten Moss und Gosse, auf Autobahnen wird je nach Auflage nachts gefahren. Bei Bedarf begleitet die Polizei den Tieflader, die Rechnung dafür zahlt aber nicht der Steuerzahler, sondern die Kunden.

Kesselanlagen aus Gunzenhausen sind in über 140 Ländern dieser Erde im Einsatz. Über den Rhein-Main-Donau-Kanal geht es an die Nordsee nach Rotterdam oder Antwerpen. Dort werden die Kessel auf hochseetaugliche Schiffe umgeladen. Die für Russland bestimmten Anlagen nehmen von dort aus den Weg über die Nord- und Ostsee nach St. Petersburg. Dort wird erneut auf ein Binnenschiff umgeladen und die Kessel fahren durch das russische Wasserstraßensystem bis zur Wolga. Drei, vier Wochen werden sie bis zu ihrem Zielort wohl unterwegs sein.

Gunzenhausen: Technik-Riesen auf großer Reise

© Bosch Industriekessel

Geht die Reise über den Atlantik in ferne Meere, dann wird die Ware in seewasserfeste Holzkisten verpackt, damit sie den Transport unbeschadet übersteht. Südafrika, Bangladesh oder gar die Fidschi-Inseln – hier wurde ein Dampfkessel für die Herstellung von Snacks und Süßigkeiten bestellt —, manche Ziele muten schon sehr exotisch an. Mindestens genauso spannend ist es, wenn ein Kessel gänzlich auf der Straße transportiert wird, nach Walsproong in die Niederlande etwa oder Hamburg.

Allerdings: Von dem Moment an, wo der Tieflader in Schlungenhof losfährt, liegt die Verantwortung für den Transport nicht mehr bei der Firma Bosch, sondern beim Spediteur. Bei der wichtigen logistischen Vorarbeit wird eng zusammengearbeitet, schließlich wollen die Mitarbeiter von Bosch sicherstellen, dass die Kessel sicher und pünktlich ihr Ziel erreichen.

Seit 1917 werden in Gunzenhausen Kessel produziert. Mittlerweile reicht die Produktlinie von kleinen Zwei-Megawatt-Kesseln für Mehrfamilien- oder Krankenhäuser bis hin zu 38-Megawatt-Kolossen. Als der Bosch-Konzern vor einigen Jahren die Firma Loos übernommen hat, war das nicht etwa aus der Not geboren. Vielmehr waren die Auftragsbücher voll, das Gunzenhäuser Unternehmen stand hervorragend da und passte laut Gosse „perfekt“ unter das Dach der Thermotechnik von Bosch.

Während an anderen Standorten Millionen von Kleinteilen wie beispielsweise Zündkerzen vom Band rollen, entstehen in Gunzenhausen ganz individuelle Produkte, jeder Kessel ist abgestimmt auf die Wünsche des Auftraggebers. Entsprechend greift die Automatisierung nicht so stark, erläutert Gosse, der manuelle Anteil ist in der Fertigung noch sehr hoch. Innerhalb des Konzerns ist das Gunzenhäuser Werk mit seinen mittlerweile 620 Mitarbeitern und 36 Auszubildenden „das Kompetenzzentrum für Großkessel weltweit“.

Neben den modernen Heizsystemen werden in Gunzenhausen auch Dampfkessel gebaut, die in ganz unterschiedlichen Bereichen zum Einsatz kommen. Ob Haribo oder Hugo Boss, VW oder Continental, kaum mehr etwas entsteht ohne Prozesswärme. Von Papier über Bier bis hin zum Kartoffelkloß, in weit mehr Produkten, als man gemeinhin denkt, steckt ein kleines Stückchen Bosch aus Gunzenhausen drin.

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