Hagen Rether in der Gunzenhäuser Stadthalle

Hagen Rether in der Gunzenhäuser Stadthalle

© Patrick Shaw

Fast vier Stunden lang zerlegt Rether die Welt analytisch scharf in ihre Bestandteile. Dennoch reicht die Zeit oft nur, um an der Oberfläche zu kratzen. Gegen Ende wird es immer anstrengender, bei der Sache zu bleiben. Das merkt der Profi und steuert mit leichterer Kost gegen. Doch ob kuriose Zivilisationskrankheiten oder religiöse Paradoxien, bei den schlichten Gags hält es den 46-Jährigen nie lange. Jede reaktionäre und dekadente Eskapade im Kleinen führt ihn zurück zum großen Ganzen, dem auf den gesellschaftlichen und ökologischen Abgrund zurasenden Menschheitszug.

Inhaltlich liefert Rether kaum Neues. Er kritisiert turbokapitalistischen Leistungswahn und mediale Überforderung („Totale Bewegung bei maximalem Stillstand“), prangert Waffenhandel („Unsere Moral möchte ich nicht haben“), religiösen Fanatismus („Wer auf die Bibel schwört, kann sie nicht gelesen haben“) und rechtspopulistische Hetze an („Super Idee: Die Todesstrafe für Selbstmordattentäter!“). Mit bissiger Ironie wendet er sich gegen Fremdenhass („Wenn wir schon aussterben, dann bitte allein!“), irrationale Ängste (70 000 Menschen sterben bei uns jährlich an den Folgen von Alkohol. Haben Sie deshalb Angst vor Riesling?“) und rückwärtsgewandten Konservativismus („Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche“).

Keine Kuschelkomik

Das alles ist sehr wahr und ehrenwert, aber eher eine mit Pointen aufgepeppte, politisch-ethische Grundsatzerklärung als lockeres Kabarett. Und vielleicht ist das auch gut so. Denn harmlose Wohlfühlwitze und Kuschelkomik wären bei so ernsten Themen genau die Art von Verdrängungsreflex, die Rether anprangert: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen ...

Dennoch trifft bei dem gebürtigen Rumänen frustrierter Kulturpessimismus auf ein durchaus optimistisches Menschenbild. Ob Flüchtlingskrise, Klimaschutz oder Arm-Reich-Verteilung — immer wieder kommt aus dem Mund des erklärten Linken und Attac-Mitglieds das abgewandelte Merkel-Zitat: „Wir kriegen das hin!“ Dazu brauche es nur etwas Geld, Geduld und Organisationstalent. „Und darin sind wir Weltmeister.“

Der Bundeskanzlerin stellt Rether sogar ein auf den ersten Blick überraschend positives Zeugnis aus. Merkel habe „die ganzen guten Inhalte aufgesogen, die die Linksliberalen seit Jahrzehnten predigen — nur immer erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen war“. Die Politik mache stets „schon den nächsten Fehler, bevor der letzte ausgebügelt ist“. Aktuelles Beispiel seien die westlichen Militäreinsätze: „Wir gehen aus Afghanistan raus, noch während wir sehen, was im Irak passiert. Wenn das die Alliierten in den 50er Jahren mit Deutschland gemacht hätten ...“ Und so zweifelt der Kabarettist auch an der Veränderungskraft der satten westlichen Demokratien. Umverteilungsideen würden gern beklatscht, „aber die, die das fordern, werden regelmäßig in die Opposition gewählt“. Der Bürger gehe „immer mit dem Onkel, der ihm ein Bonbon verspricht“. Trotzdem sei es wichtig, zu wählen — „wie Zähneputzen: Wenn man es nicht macht, wird’s braun.“

Flüchtlingskrise und Bankenrettung

Die Ursache für viele Fehler sieht Rether in falschen Maßstäben. „Wir geben zum Beispiel dieselbe Summe für Haustiere aus wie für Flüchtlinge“, verdeutlicht er. „Wir haben sogar das Vierfache für den Afghanistan-Krieg bezahlt. Und haben wir deshalb nur einen Cappuccino weniger getrunken?“ Allein die bereits in Deutschland arbeitenden Migranten hätten die Flüchtlingskrise „längst bezahlt“.

Gleiches gelte für Griechenland und die Niedrigzinspolitik, oder für das Herumhacken auf Hartz-IV-Empfängern, die die Allgemeinheit tatsächlich weniger kosten würden als Schwarzarbeit oder die Folgen von Übergewicht. Selbst die zig Milliarden schwere Bankenrettung „haben wir einfach gemacht“, weil die Banken „too big to fail“ waren. „Ich finde ja, dass eine Million Flüchtlinge ,too big to fail‘ sind“, so der Wahl-Essener. Aber eine Börsenumsatzsteuer? Die schon bei einem Satz von 0,1 Prozent so viel Geld in die öffentlichen Kassen spülen würde, dass „wir unsere Kindergärten mit Blattgold auslegen könnten“? Fehlanzeige!

Genauso falsch wie diese Verhältnismäßigkeiten sind für Rether zynische Begriffe wie „sozial schwach“. Gemeint sei ökonomisch schwach. „Sozial schwach sind oft eher die ökonomisch Starken“, so der Kabarettist. Und Steuersünder dürften nicht ins „Steuerparadies“, sondern müssten in die „Steuerhölle“ kommen. Solche Schönfärberei sei „Herrschaftssprache“ und sorge für Empathieverlust.

Lebensmittel-Terroristen

Lediglich in seinem Feldzug gegen den Fleischkonsum verrennt sich Rether etwas. Recht hat er, wenn er warnt, dass die Hälfte des weltweiten Kohlendioxidausstoßes auf die Massentierhaltung zurückgeht; dass die 15 größten Hochseeschiffe mehr Schwefeloxide produzieren als alle Autos zusammen; dass bei den Menschen aber das logische Denken aussetzt, „wenn es ans eigene Schnitzel geht“. Großkonzerne wie Nestle und Monsanto seien regelrechte „Terrororganisationen“. Die Zahl der von ihnen zu verantwortenden Toten und die Dimensionen ihrer Landnahme seien gleichauf mit denen des „Islamischen Staats“ — nur dass dieser dafür bombardiert werde, während Nestle und Co. Subventionen erhalten.

Mit seinem fast 30-minütigen Plädoyer für Veganismus schießt der Kabarettist jedoch über das Ziel hinaus und erntet nicht nur Lacher, sondern auch Kopfschütteln und gelangweilte Blicke. Das mag am Reflex vieler liegen, gern andere zu kritisieren, sich aber selbst nicht einschränken zu wollen. „Ein Leben lang Fleisch essen und dann den Metzger wegen der Gicht anzeigen — werdet erwachsen!“, verdreht Rether die Augen. Allerdings wird auch die Argumentation des 46-Jährigen zunehmend dünn, so eindringlich letztlich sein Fazit ist: „Terror und Kriege sind nur ein Katzenfurz gegenüber der Aussicht, dass uns unsere Biosphäre wegbricht!“

Dazwischen grübelt Rether, während er akribisch seinen an diesem Abend kaum genutzten Flügel poliert. „Ich verstehe das nicht“, sinniert er. „Wir leiden, aber ändern nichts. Was läuft da schief? Es ist doch unsere Gesellschaft. Wir müssen nur an den Stellschrauben drehen. Dinge können über Nacht geändert werden. Vielleicht können wir keine Kriege verhindern, aber wir können mit kleinen Schritten anfangen und nicht mehr ganz so sehr Untertan sein.“

Es ist am Ende ein leises, aber flammendes Plädoyer gegen die einfache Schwarz-Weiß-Moral, gegen Angst und für Selbstverantwortung. „Wie die da oben uns verarschen, steht jeden Tag in der Zeitung“, so Rether. „Aber wie wir uns selbst verarschen, sehen wir nicht. So machen wir uns die Welt, wie wir sie brauchen.“

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