Im großen Meer der Musik

23.10.2017, 18:41 Uhr

Interessieren Sie sich für Lyrik? Egal, von Rabindranath Tagore werden Sie trotzdem noch kaum gehört haben. Er ist wahrlich kein Dichter, den man in gängigen Anthologien
vertreten findet. Dabei hat der bedeutende bengalische Künstler und Schriftsteller den Text der indischen Nationalhymne geschrieben – und für seine Lyriksammlung "Gitanjali" (Lieder-Gaben) 1913 sogar den Literaturnobelpreis bekommen.

Neben Werken des russischen Modernisten Ossip Mandelstam und der populäreren Expressionistin Else Lasker-Schüler bildet seine Poesie die Textgrundlage für Hans Schanderls sinfonischen Liederzyklus "Im Traum gesungen", dessen Uraufführung am Sonntagabend die Meistersingerhalle fast zur Hälfte füllen konnte. In dem Tondichter aus der Oberpfalz hat der Philharmonische Chor Nürnberg einen interessanten zeitgenössischen Komponisten gewinnen können, um die diversen Jubiläums-Feierlichkeiten mit einer eigenen Auftragskomposition zu krönen.

Allerdings steht der chorische Initiator gar nicht im Mittelpunkt des Werks, sondern beschränkt sich auf die Begleitung von Orchester und Solisten durch eine "semantisch freie Klanglaut-Gestaltung". Das klingt irritierender, als es sich dann anhören wird, denn Schanderl beweist, dass auch eine gute Stunde Avantgarde gediegenen Musikgenuss nicht ausschließen muss. Dabei ist sein Werk nicht brav oder epigonal, sondern durchaus ambitioniert.

Zwar lassen Mahler oder Schönbergs Gurrelieder aus der Ferne grüßen, doch ist die Klangsprache des mystisch inspirierten Tonsetzers im Ganzen neu und innovativ. Ruhige, fließende Streicherwogen durchwallen das Werk zunächst, während der Chor mit sanften Hauch- und Säusel-Lauten schmeichelt; der Tagore-Text erzählt denn auch vom großen Meer als Symbol der Ewigkeit.

Lasker-Schülers resignatives Gedicht "Ich weiß" gewinnt hingegen durch dominante Perkussion an Eindringlichkeit, und im Duett "Silentium" erklingen zarte Sphärentöne. Der Chor streut Text- oder Lautfragmente dazwischen und erzeugt intuitive Klangwelten – durch ein mehrmals einfallendes Konsonanten-Gelalle aber auch unfreiwillige Komik. So oder so – das Publikum spendet dem anwesenden Komponisten warmen Beifall. Die Krönung ist geglückt!

Eine andere Krönung ist "Ein deutsches Requiem" von Brahms, nämlich diejenige der romantischen Chorliteratur. Mit der Vertonung lutherischer Bibeltexte knüpfte das Werk, für das der zweite Teil des Abends reserviert war, direkt an den spirituellen, mitunter auch religiösen Gehalt der vorangehenden Dichtungen an.

Der Philharmonische Chor schlägt sich wacker mit dem groß angelegten Opus, bemüht sich um Präzision gleich wie Intonationssicherheit und vermag alle dynamischen Schattierungen umzusetzen. Abstriche fordern
leider die Fugato-Passagen – besonders bei den "Erlöseten des Herrn", die gen Zion ziehen, kommt es zu
Einschränkungen der koordinativen Fähigkeiten.

Gordian Teupke gibt derweil alles, was man vom Pult aus geben kann, um die Nürnberger Symphoniker zu noch mehr Einsatz und Dynamik zu animieren, was diese aber nicht immer annehmen mochten. Sopran Claudia Reinhard und Bariton Jochen Kupfer sind die in beiden Teilen des Abends tüchtig geforderten Solisten des Abends. Sie bewältigen ihre anspruchsvollen Aufgaben mit Wohlklang, wenngleich mancher Anstrengung. Ebenso wie die überzeugenden Choristen werden sie am Ende mit herzlichem Beifall bedacht.

Keine Kommentare