Jess Walter im Gunzenhäuser "M11"

19.4.2016, 16:01 Uhr
Jess Walter im Gunzenhäuser

© Kirsty Husz

Die sehr gut besuchte Vernissage zu der Ausstellung mit dem schlichten Titel „da“ lässt keinen Zweifel daran: Dass jedes seiner Werke gewisse Leerstellen besitzt und mehr Fragen als Antworten aufwerfen soll, ist dem studierten Maler tatsächlich ein besonderes Anliegen. Er liebt, wie er im Dialog mit Holger Pütz-von Fabeck, dem 2. Vorsitzenden des Kunstforums, bekennt, das seit Paul Cézanne bekannte ästhetische Potenzial des lediglich Angedeuteten, das Spiel mit den Zwischenbereichen des Möglichen, das Auftauchen und Verschwinden von Figuren, Formen und Buchstaben, die nie ganz hier, nie richtig fort, eben immer irgendwie „da-zwischen“ sind.

Visuell untermauert wird das Gesagte durch ein großformatiges, naturbelassenes Nesseltuch, auf dem das titelgebende Wörtchen regelrecht „hingestottert“ wirkt. Die Lettern wurden in verschiedenen Stärken willkürlich neben- und übereinander gedruckt, sind „da,“ „nicht da“ oder einfach „da da“, und ihr Sinn verändert sich je nach individueller Wahrnehmung. Die Nähe zum Dadaismus, zu dessen zufallsgesteuerten Schöpfungen, sinnfreien Lautgedichten und Zweifeln an etablierten Sichtweisen, ist offenkundig nicht bloß akustisch gewollt.

Gestammelte, gestempelte Buchstaben arrangieren sich auf anderen Bildern bei genauem Hingucken dafür zum Text des Beatles-Klassikers „Help!“ oder zur Abschiedsformel „good-bye“ und verraten, zusammen mit den dargestellten Motiven, Walters Beeinflussung durch die Pop-Art. So führt einmal ein Cowboy sein Pferd hinter sich her, wird unsichtbar, zeigt sich blass wieder, enttrabt erneut dem Blick. Eine Ikone der Populärkultur, die müde geworden ist. Und gleichzeitig ein weiteres Beispiel für die Kunst der Auslassung, die auch in einer Reihe abstrakt gehaltener Arbeiten das vorherrschende Stilprinzip ist und ihnen Leichtigkeit und Poesie verleiht.

Das Zwiegespräch, mit dessen Hilfe Pütz-von Fabeck den Gästen Interpretationsansätze liefert, erweist sich als gelungener Kniff. Statt an einem festen Punkt einen theorielastigen Monolog zu halten, spaziert er mit Walter durch die Galerie, ist sozusagen mal da und mal da, und erörtert mit ihm en passant sein Kunstverständnis und den Entstehungshintergrund vieler Ausstellungsstücke. Das Publikum läuft bereitwillig mit und hängt neugierig an den Lippen des 1959 geborenen Ornbauers, der außerdem als Dozent tätig ist und bei der Sommerakademie in Merkendorf heuer einen Landschaftsmalerei-Kurs anbieten wird.

Höchst dankbar ist der stellvertretende Vorsitzende nicht nur dafür, dass die Stadt Gunzenhausen – bei der Veranstaltung durch Bürgermeister Karl-Heinz Fitz repräsentiert – die in das Kunstforum gesteckten Fördergelder verdoppelt hat. Ihn stimmt ebenso froh, dass ausgerechnet Jess Walter – preisgekrönt und international erfolgreich und damit nach den Gesetzen des Marktes einiges „wert“ – für die letzte Jahresgabe des Vereins gewonnen werden konnte. Hierbei hat der Kunstfreund Gelegenheit, Originale in limitierter Auflage günstig zu erwerben, oder bekommt, wie Pütz-von Fabeck es ausdrückt, „Kunst zum IKEA-Preis, aber keine IKEA-Kunst!“

Beileibe handelt es sich bei den beiden Jahresgaben, denn es sind deren erstmals zwei, um nichts, was allzu mühelos konsumierbar wäre: Eine Schnecke unter einem leuchtend gelben Kreuz fordert wie der bereits erwähnte Cowboy zur Entdeckung der Langsamkeit auf, das gleiche Kreuz auf einem untergehenden Schiff erinnert schnell an ein brisantes Thema, nämlich das politisch verschuldete Ertrinken von Flüchtlingen im Mittelmeer. Trotzdem verfolgt Walter keinen explizit ethisch-moralischen Ansatz, sondern spricht lieber nochmals von einem je nach Betrachter unterschiedlich aufladbaren Energiefeld in seinen Werken, von Resonanzen, in denen man versinken könne wie ein Boot in den Wellen.

Manchmal schaukelt letzteres allerdings halbwegs sicher auf dem Wasser, wie das Floß in dem Marilyn-Monroe-Western „Fluss ohne Wiederkehr“. Walter hat auch dieses grafisch verewigt, gibt der berühmten Schauspielerin im Gegensatz zu seinem Pop-Art-Vorbild Andy Warhol jedoch kein Gesicht. Vielleicht wieder eine seiner gezielten Lücken, wo doch die meisten, Pütz-von Fabeck eingeschlossen, den Film vor allem wegen „MM“ und nicht der Floßszenen im Gedächtnis haben.

Ob man für Kunst eigentlich Talent brauche, will der Rechtsanwalt einmal vom Maler wissen. Ein starkes Ausdrucksbedürfnis sei wichtiger, lautet die Antwort. Jess Walter hat beides. Bis zum 15. Mai kann man sich jeden Samstag und Sonntag von 11 bis 16 Uhr in den Räumen des Kunstforums selbst davon überzeugen.

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